«Gerade in Zeiten wie diesen ist der Multilateralismus unverzichtbar»
Dominique, seit gut einem Jahr bist du jetzt Aussenministerin. Wie hat sich dein Leben geändert, seit du vom Inneren ins Äussere gewechselt bist?
Dominique Hasler: Der Wechsel vom Innen- ins Aussenministerium ist reibungslos verlaufen. Als Aussenministerin ist es sehr hilfreich, wenn man die innenpolitischen Themen gut kennt. Dies ermöglicht es uns, die Aussenpolitik so zu gestalten, dass sie sich eng an unseren Werten und Interessen orientiert. Auf die Frage eingehend, was sich in meinem privaten Leben geändert hat; mein neuer Kleiderschrank ist nun der Koffer. (lacht)
Du sprichst es an: Nachdem nun die Pandemiemassnahmen grossteils gefallen sind, ist dein Job wieder mit vielen Reisen verbunden. Wie empfindest du den «Reisestress»?
Reisen ist ein wesentlicher Bestandteil im Leben einer Aussenministerin. Dies als Stress zu empfinden, wäre also kontraproduktiv. Ich bin diesbezüglich sehr flexibel, mein Büro ist jetzt halt im Auto, Flieger oder Zug – das funktioniert heutzutage wunderbar.
Kommen die Bereiche Bildung und Sport nicht zu kurz, wenn du so oft im Ausland bist?
Nein! Als Aussenministerin ist es eine meiner Kernaufgaben, unser Land und unsere Interessen in der Welt zu vertreten. Und wie gesagt: In der heutigen Zeit ist man auf der ganzen Welt gut erreichbar und handlungsfähig. So findet – ganz egal, wo man gerade ist – auch in den Bereichen Bildung und Sport ein fortlaufender Austausch mit den Fachverantwortlichen statt. Ich werde in allen Bereichen von sehr guten Teams unterstützt, wofür ich sehr dankbar bin.
Wenn man neu in einem Amt ist, bringt man immer auch sich selbst ein und ortet sicher hier und da Optimierungspotenzial. Was macht unser Land anders, seit du Aussenministerin bist?
Das Aussenministerium besteht aus meinem Team im Aussenministerium, aus dem Amt für Auswärtige Angelegenheiten und den Teams an unseren acht Aussenstellen. Das diplomatische Korps sorgt mit seiner langjährigen Erfahrung für Kontinuität in der Bearbeitung von unseren aussenpolitischen Schwerpunkten. Wir machen also keinesfalls einfach alles anders, aber natürlich setze ich auch meine eigenen Schwerpunkte. Dazu gehört für mich persönlich ein verstärktes Engagement im Bereich der internationalen Solidarität.
Der Einmarsch Russlands in die Ukraine und die Kriegshandlungen überschatten praktisch alle anderen Agenden. Mit harten Sanktionen reagiert der Grossteil der Staatengemeinschaft darauf. Kommt der Multilateralismus angesichts solcher Ereignisse an seine Grenzen?
Das übergeordnete Ziel eines gelebten Multilateralismus ist es, dass wir zusammenstehen und uns mit Nachdruck für die gemeinsam geschaffene regelbasierte Ordnung einsetzen. Gerade auch ein kleines Land wie Liechtenstein ist darauf angewiesen, dass Grenzen nicht einfach durch die Macht des Stärkeren verschoben werden und die Souveränität von Staaten respektiert wird. Auch wenn die zunehmende Polarisierung die Findung von gemeinsamen Lösungen erschwert, gibt es aus meiner Sicht keine Alternative zum Multilateralismus – nein, gerade in Zeiten wie diesen ist er unverzichtbar!
Wie muss man sich als Bürger die diesbezüglichen Diskussionen und Verhandlungen auf internationalem Parkett vorstellen?
Wir führen derzeit einen sehr engen und intensiven Austausch mit unseren Partnern. Sei dies bei bilateralen Treffen mit anderen Ländern oder im Rahmen unserer Mitgliedschaft bei der UNO, beim Europarat und der OSZE. Dabei steht die Wichtigkeit der gemeinsamen klaren Reaktion gegen diesen bis vor wenigen Wochen unvorstellbaren und verheerenden Angriffskrieg im Zentrum der Gespräche. Ich erlebe eine sehr starke Verbundenheit zwischen den Partnerstaaten, weshalb es aus meiner Sicht so wichtig ist, dass auch wir als Land im Herzen Europas Teil dieser Gespräche sind.
Gibt es in der Aussenpolitik angesichts dieser Krise überhaupt noch Raum für andere Themen, die Liechtenstein international behandelt bzw. vorantreibt?
Dieser Krieg in Europa hat uns aufs Tiefste erschüttert. Es sind gerade Zeiten wie diese, die uns einmal mehr aufzeigen, wie wichtig es ist, als Kleinstaat aufgrund einer aktiven Aussenpolitik gut vernetzt und eingebunden zu sein. Neben der Krisenbewältigung ruhen andere Themen in der Aussenpolitik aber nicht. Wir sind deshalb besonders gefordert. Neben den breiten Kernaufgaben stehen auf der Agenda auch weitere Projekte wie die Vorbereitung auf den anstehenden Vorsitz Liechtensteins beim Europarat, die Ausgestaltung des Jubiläumsjahrs zum Zollvertrag und vieles mehr.
Im Regierungsprogramm kann man nachlesen, dass der Schwerpunkt vor allem auch auf die regionale Zusammenarbeit mit den Nachbarn gelegt werden soll. Vor drei Wochen waren die Aussenminister der deutschsprachigen Länder zu Gast in Liechtenstein. Welche Themen will man gemeinsam anpacken?
Die deutschsprachigen Länder pflegen seit vielen Jahren sehr enge Beziehungen. Gerade Krisen zeigen auf, wie wichtig es ist, unsere regionale Partnerschaft fortlaufend in den verschiedensten Bereichen stärken. Beim diesjährigen Treffen stand das gemeinsame entschiedene Vorgehen gegen diesen abscheulichen Krieg im Zentrum der Gespräche. Dazu gehört eine enge Abstimmung bei der Umsetzung der Sanktionen, die Koordination humanitärer Hilfe, die gemeinsame Positionierung in internationalen Gremien und vieles mehr.
Am 11. Mai findet in Schaan die Veranstaltung «Zeit für Liechtenstein» statt. Was erwartet uns da?
Bei diesem «Zeit für Liechtenstein»-Anlass soll ein näherer Einblick in die aussenpolitische Arbeit und deren Bedeutung gegeben werden. Nach einem Impulsreferat kann bei einer offenen Diskussion mit den Gästen auf Fragen zur Aussenpolitik eingegangen werden. Das wird sicher ein spannender Abend für uns alle!
Nach Corona stehen wir in der Bildung mit der Integration von Flüchtlingskindern vor grossen Herausforderungen. Wie erlebst du als Bildungsministerin unser Bildungswesen in dieser speziellen Drucksituation?
Unser Bildungssystem hat bereits während der Coronapandemie gezeigt, wie flexibel wir auf Herausforderungen reagieren können. Infolge des Krieges und der vielen Schutzsuchenden haben die Verantwortlichen in den letzten Wochen neue Strukturen und pädagogische Konzepte geschaffen, um auch Hunderte von zusätzlichen Schülerinnen und Schülern beschulen zu können. Diese Solidarität und der enorme Einsatz sind beeindruckend und inspirierend. Da wir nun im Bildungsbereich nahtlos in die nächste Belastungsprobe übergehen, ist das zweifelsohne ein grosser Kraftakt, und ich danke allen für ihr damit verbundenes Engagement.
Im April-Landtag hast du ausgeführt, dass sich 30 ehemalige Lehrpersonen gemeldet haben, um in personellen Engpässen auszuhelfen. Was sagt das über die Solidarität in unserem Land aus?
Das zeigt in meinen Augen auf wunderbare Art und Weise, dass wir unsere humanitäre Tradition wirklich leben. Dafür bin ich sehr dankbar, und ich habe grossen Respekt vor dieser Bereitschaft, sich für das Wohl der Schutzsuchenden einzusetzen. (mw)