«Wir werden andere Lösungen für den ÖV finden müssen»
von David Sele
Volksblatt.li: Frau Marok-Wachter, seit dem 25. März sind Sie Ministerin für Infrastruktur und Justiz. Haben Sie sich schon eingelebt im Regierungsgebäude?
Graziella Marok-Wachter: Ja. Ich durfte das bisherige Büro von Daniel Risch beziehen. Die Möbel hat er aber mitgenommen, daher fehlt es im Moment noch an Stauraum und es stehen einige Umzugskisten herum. Aber in den ersten Tagen standen für mich ohnehin die organisatorischen Fragen im Zentrum. Soweit fühle ich mich sehr wohl. Und wenn das Büro dann eingerichtet ist, fühle ich mich vermutlich noch wohler.
Ihnen unterstehen zum Teil sehr grosse Amtsstellen. Konnten Sie bereits viele Leute kennenlernen?
Mit meinen Mitarbeitenden im Ministerium habe ich bereits ausführliche Gespräche geführt. Auch mit den Verantwortlichen einer grösseren Amtsstelle hatte ich ein längeres Gespräch. In den nächsten Wochen möchte ich nun zu möglichst vielen Personen aus den Bereichen Justiz und Infrastruktur Kontakt aufnehmen. Zum Beispiel auch zu den Gemeindevorstehern, die ja gerade im Infrastrukturbereich eine zentrale Rolle einnehmen.
Im Bereich Infrastruktur dürfte in den kommenden vier Jahren die Verkehrsproblematik das brennendste Thema sein.
Es ist vor allem das sichtbarste Thema. Da kann jeder mitreden, weil jeder unmittelbar betroffen ist. Dabei darf man nicht vergessen, dass Verkehrspolitik sehr stark mit der Raumplanung zusammenhängt. Wie gehen wir mit den beschränkten Ressourcen um? Wo und welche Räume nutzen wir für was? Man darf den Verkehr also nicht isoliert betrachten. Und natürlich gehören zum Infrastrukturbereich auch die grossen Bauprojekte wie Schulbauten und das Verwaltungsgebäude.
Wobei Sie die Hochbauprojekte wohl nicht so stark beschäftigen werden, wie dies in der letzten Legislatur der Fall war.
Ja, ich denke, unter dem Infrastrukturminister Daniel Risch wurde vieles aufgegleist und genehmigt. Jetzt geht es um die Umsetzung. Das geschieht eher auf der Ebene der Amtsstellen. Auf der politischen Ebene ist der Grossteil der Arbeit bereits getan.
Auch in der Verkehrsthematik scheint der Weg mit dem Mobilitätskonzept 2030 vorgezeichnet. Finden Sie sich in diesem Papier wieder?
Grundsätzlich halte ich es für ein gutes Konzept. Es ist sehr breit angelegt. Ich denke, das muss der Lösungsansatz sein, denn es gibt nicht das eine Projekt, das all unsere Probleme löst. Es braucht unterschiedliche Massnahmen auf unterschiedlichsten Flughöhen – vom Rheinbrückenausbau bis zur Bushaltestellenoptimierung. Das Mobilitätskonzept 2030 gibt dabei einen Überblick an konkreten Massnahmen, bei denen man ansetzen kann.
Das Konzept will alle Verkehrsmittel gleichermassen fördern. Wenn wir ehrlich sind, ist es aber doch so, dass wir einfach zu wenig Platz haben, um es allen Verkehrsteilnehmern recht zu machen. Müsste man da nicht mal fokussieren, sich auf ein Verkehrsmittel konzentrieren?
Bis jetzt ist das im Konzept nicht vorgesehen. Je nach Entwicklung wird man in Zukunft schauen müssen, ob bestimmte Verkehrsmittel stärker priorisiert werden sollen. Aber ich denke, im Grundsatz ist es schon richtig, dass wir uns breit aufstellen. Es hängt ja auch vieles voneinander ab. Ein zentraler Punkt ist beispielsweise die Aufwertung des öffentlichen Verkehrs (ÖV). Das kann auch zu einer vermehrten Nutzung des ÖV beitragen.
Ich verstehe nicht, weshalb sich die Politik bisher so schwer damit tut, die grossen Unternehmen zu einem betrieblichen Mobilitätsmanagement mit Parkplatzbewirtschaftung zu verpflichten. Parkplatzgebühren von 1.50 Franken pro Tag haben 20 Prozent der Mitarbeitenden der Landesverwaltung zum Umsteigen aufs Rad oder den ÖV bewegt. Ist es nicht an der Zeit, hier auch der Privatwirtschaft Regeln vorzugeben?
Das Thema Parkplatzbewirtschaftung ist ja im Mobilitätskonzept auch enthalten. Es ist vorgesehen, nun bei den staatsnahen Betrieben anzusetzen. Alles Weitere werden wir unter Involvierung der Privatwirtschaft anschauen müssen.
Anders gefragt: Sind Sie eher der Typ Politikerin, der auf totale Freiwilligkeit setzt, oder finden Sie, man darf der Wirtschaft auch mal eine Verpflichtung zumuten?
Ganz ehrlich, das weiss ich nicht. Was mir wichtig ist: Ich will zuerst ein detaillierteres Verständnis der Ausgangslage haben und mit den betroffenen Leuten reden. Nur so kann ich ein Gefühl für die Situation entwickeln und mir eine Meinung bilden. Ich kann mich daher nicht generell einem der von Ihnen genannten Typen zuordnen.
Welche Position haben Sie bei der S-Bahn-Abstimmung eingenommen?
Ich war für die S-Bahn.
Dieses Projekt war ein wichtiger Teil des Mobilitätskonzepts 2030 und stellte eine Schlüsselinfrastruktur im Agglomerationsprogramm Liechtenstein-Werdenberg dar. Doch das Liechtensteiner Stimmvolk hat die S-Bahn deutlich verworfen. Der Verkehrsexperte und ehemalige ABI-Leiter Markus Verling sagte am Abstimmungssonntag: «Der nächste Verkehrsminister muss mit diesem Nein ein schweres Erbe antreten. Es ist ein Scherbenhaufen, der zusammengekehrt werden muss.»
Es ist aus Sicht des Gesamtkonzepts sicher ein Nachteil, dass die S-Bahn nicht realisiert werden kann. Dieses Projekt war ein wichtiger Teil des Mobilitätskonzepts. Aber nicht der einzige. Und nachdem die Bevölkerung sich klar gegen einen Ausbau der Bahninfrastruktur entschieden hat, gilt es nun zu prüfen, welche anderen Massnahmen, vor allem im ÖV-Bereich, umgesetzt werden können.
Und die Gleise aufrollen?
Nein. Man kann sicher auch bei der Bahn noch schauen, ob sich das Angebot auf der bestehenden Infrastruktur optimieren lässt. Diese Möglichkeit bleibt. Aber am Schluss werden wir einfach andere Lösungen für den ÖV diskutieren und finden müssen. Insbesondere auch mit unseren Nachbarn.
Lassen Sie uns noch über die Justiz reden. Sie sind eine Ministerin mit Heimvorteil, haben zweieinhalb Jahre das Amt für Justiz geleitet. In dieser Zeit durften Sie zwei Justizministerinnen erleben. Ich nehme an, Sie haben für diesen Regierungsjob kandidiert, weil Sie ein Stück weit unzufrieden damit waren, wie ihn Ihre Vorgängerinnen gemacht haben.
Das kann man nicht sagen. Der Geschäftsbereich Justiz spricht mich an, weil ich viele Jahre meines Berufslebens mit diesen Themenfeldern zu tun hatte. Ich war 13 Jahre lang Anwältin, anschliessend 12 Jahre Juristin in der Finanzbranche und zuletzt eben Leiterin des Amtes für Justiz. Ich kenne somit die Sichtweisen der verschiedenen Anspruchsgruppen. Ich habe die Optik der Marktteilnehmer genauso wie jene der Behördenseite. Das hilft, wenn man vor einer schwierigen politischen Ausgangslage steht und eine Lösung finden muss. In all den Jahren habe ich viele Lösungsansätze und auch kreative Ideen gesehen. Die Justiz ist eine meiner Leidenschaften. Schliesslich geht es um die Regeln des Zusammenlebens. Das Recht widerspiegelt die Werte unserer Gesellschaft.
Haben Sie bereits etwas im Köcher, was Sie dringend angehen wollen?
Es gibt viele kleinere Themen in verschiedenen Gesetzen, die wir uns einmal anschauen müssen. Bereinigungen in bestehenden Gesetzen gibt es immer wieder, diese versuchen wir gebündelt anzugehen. Die drängenden Themen stehen meines Erachtens bereits im Raum: Wir müssen zum Beispiel im Gesellschaftsrecht Optimierungen prüfen – insbesondere mit Blick auf das Stiftungs- und Trustrecht. Dieser Auftrag ergibt sich aus der Finanzplatzstrategie und ist wichtig für die zukünftige Positionierung des Finanzplatzes. Im Mai-Landtag steht zudem bereits die zweite Lesung der Revision des Rechtshilfegesetzes auf dem Plan. Das ist eine sehr wichtige Vorlage.
Und es ist auch eine umstrittene Vorlage. Die Treuhandkammer und die Rechtsanwaltskammer haben sich in ihren Stellungnahmen dazu sehr kritisch geäussert. Stein des Anstosses ist, dass Rechtshilfe künftig bereits gewährt werden soll, bevor die betroffene Person darüber informiert wird und die Möglichkeit hatte, Einsprache zu erheben. Verstehen Sie diese Kritik aus der Optik der Treuhänder und Anwälte?
Ja, aber sie unterliegt, wenn ich die Interessen abwäge. Es gibt internationale Standards, die die Zusammenarbeit im Rechthilfebereich festlegen. Dazu gehört auch die Möglichkeit, dass Ermittlungen auf Antrag des ersuchenden Staates vorübergehend vertraulich geführt werden können, also derart, dass die betroffenen Personen vorübergehend nicht über ein Rechtshilfeersuchen informiert werden. Aktuell haben wir in unseren Gesetzen keine Grundlage, die dies ermöglichen würde. Dabei geht es beispielsweise um aufwändige Ermittlungen im Feld der Wirtschaftskriminalität. Ein frühzeitiges Bekanntwerden kann in solchen Fällen jahrelange Ermittlungen zunichtemachen. Es gab daher bereits Fälle, in denen das Rechtshilfegesuch zurückgezogen wurde, weil die Ermittler dies vermeiden mussten. Damit ist in solchen Fällen die Rechtshilfe nicht effektiv. Diese Situation müssen wir bereinigen, auch weil dieses Jahr eine Moneyval-Länderprüfung ins Haus steht, wo gerade auch die Effektivität unserer Rechtshilfe geprüft wird. Liechtenstein kann es sich schlicht nicht leisten, eine schlechte Bewertung zu riskieren. Ich denke aber, die Gesetzesvorlage ist ein guter Kompromiss: Es wird den Betroffenen weiterhin möglich sein, Rechtsmittel gegen die Rechtshilfe zu ergreifen. Sollte das Rechtsmittel erfolgreich sein, so dürfen die ausgefolgten Informationen im Empfängerstaat nicht verwendet werden.
Und wie stellt Liechtenstein sicher, dass sich ein Staat wie China daran hält?
Liechtenstein kann bei der Rechtshilfe Auflagen anbringen, die völkerrechtlich verbindlich sind. Tatsächlich werden aber die allermeisten Rechtshilfeersuchen von unseren Nachbarstaaten gestellt. Und wir dürfen einfach auch nicht vergessen, dass es für einen internationalen Finanzplatz wie Liechtenstein sehr wichtig ist, nicht in die «Schmuddelecke» gedrängt zu werden. Es gibt noch immer sehr viele Rechtshilfeersuchen. Diese betreffen in sehr vielen Fällen nicht Liechtensteiner, sondern internationale Kunden des Finanzplatzes. Wenn wir den Anschein erwecken, wir wären unkooperativ in der Verbrechensbekämpfung, schadet dies der Reputation und dem Land enorm. Wenn wir weiterhin als seriöser Finanzplatz wahrgenommen werden wollen, gehört dazu auch eine effektive Rechtshilfe.
Lassen Sie uns noch kurz auf den Koalitionsvertrag eingehen. Dort steht, Sie werden die Einführung des sogenannten «Staatsanwaltschaftsmodells» prüfen. Das heisst, die Funktion des Untersuchungsrichters würde abgeschafft. Ermittlungen in Strafverfahren würden dann einzig durch den Staatsanwalt geführt, während das Gericht vielleicht noch die ein oder andere Massnahme absegnet. Das tönt ja fast nach einer kleinen Revolution.
Nein, unsere Nachbarstaaten haben dieses Modell bereits, das ist von daher nichts Neues. In Liechtenstein wurde dieses Thema in der Vergangenheit in Fachkreisen immer wieder andiskutiert. Kern der Idee ist eine Effizienzsteigerung in der Justiz. Das aktuelle Untersuchungsrichtermodell führt zu gewissen Doppelspurigkeiten, weil sich der zuständige Staatsanwalt und der Untersuchungsrichter zum Teil mit denselben Unterlagen befassen. Am Ende des Tages würde bei einer Umstellung auf das Staatsanwaltschaftsmodell die Staatsanwaltschaft mehr Kompetenzen erhalten und das Gericht weniger. Es käme zu einer Entflechtung der Aufgaben. Demgegenüber bestehen rechtsstaatliche Bedenken, die berücksichtigt werden müssen. Also: das müssen wir uns genau anschauen und darum steht im Koalitionsvertrag ja auch «nur», dass dieses Modell geprüft werden soll. Wir sind hier in der Analysephase.
Stichwort Effizienz: Wie läuft es denn generell im Gerichtsbetrieb?
Nach meinem bisherigen Eindruck wird sowohl bei den Gerichten als auch in der Staatsanwaltschaft effizient gearbeitet. Aber auch hier werde ich mir einen tieferen Einblick verschaffen und Gespräche mit den Gerichtspräsidenten sowie dem leitenden Staatsanwalt führen. Was wir uns in dieser Legislatur sicher anschauen, ist die Digitalisierung. Hier läuft ja eine grosse Initiative in der Landesverwaltung. Da wollen wir auch die Gerichte und die Staatsanwaltschaft einbeziehen. Das sind komplexe Projekte, bei denen man die organisatorischen Abläufe anschauen muss, und es wird voraussichtlich auch Gesetzesanpassungen brauchen. Das ist sicher kein Projekt, das sich auf die Schnelle umsetzen lässt.
Frau Marok-Wachter, zum Schluss noch etwas anderes: In den letzten Monaten und Jahren wurde oft über den «politischen Stil» geredet. Sie bekleiden nun seit wenigen Tagen Ihr erstes politisches Amt. Welche Art Politikerin möchten Sie sein?
Mir ist es wichtig, die Dinge mit einer gewissen Beharrlichkeit voranzutreiben. Die «Brechstange» ist aber sicher nicht mein Stil. Ich bin überzeugt, wenn man etwas erreichen will, geht es nur miteinander. Ich möchte die Meinungsvielfalt so bündeln, dass wir einen Weg finden, hinter dem möglichst viele stehen können. Natürlich werden nie alle mit allem glücklich sein. Aber es muss einen breiten Konsens geben, damit man etwas bewirken kann. Genau deshalb möchte ich in den kommenden Wochen und Monaten auch möglichst breit Gespräche führen, sei es mit den Verbänden oder wie gesagt mit den Gemeindevorstehern. Ich möchte mit diesen Personen einzelne Aspekte aus den verschiedenen Strategien und Konzepten vertieft anschauen und ein Verständnis für die unterschiedlichen Positionen bekommen. In solchen Gesprächen höre ich dann im Idealfall auch das, was nicht zu Papier gebracht wurde.