«Wir sind für alle verantwortlich»
von Patrik Schädler, Liechtensteiner Vaterland
Wie geht es Ihnen? Wie zermürbend ist die aktuelle Situation für Sie als Regierungschef?
Daniel Risch: Mir geht es grundsätzlich gut, aber es ist mir auch schon besser gegangen. Die aktuelle Situation ist für alle belastend. Die grösste Schwierigkeit ist sicher die lange Zeitspanne, in der wir uns jetzt in dieser Pandemie befinden. Im Febru-ar 2020 hat sich niemand vorstellen können, dass Corona auch im Dezember 2021 noch das beherrschende Thema ist. Wahrscheinlich ist es aber auch gut, dass das damals niemand wusste. Ich halte mich – wie wohl viele andere auch – an die Zuversicht, dass es irgendwann vorbei sein wird. Aus diesem Grund würde ich jetzt gerne einen Kaffee im Jahr 2031 trinken und auf diese Zeit zurückblicken. Diese Hoffnung, dass man einmal zurückschauen kann und weiss, dass es vorbei ist, ist etwas, was mich funktionieren lässt.
Haben Sie es in Erwägung gezogen, als Sie im März das Amt als Regierungschef angetreten haben, dass dieses Jahr so enden könnte?
Leider ja. Man musste damit rechnen, dass die Pandemie im Herbst nochmals an Fahrt gewinnt. Aber ich hätte mir nicht vorstellen können, dass wir nicht mehr Menschen zur Impfung bewegen können. Im März war der Impfstoff noch Mangelware, mittlerweile fehlen zusätzliche Impfwillige. Ich hatte auf jeden Fall die Hoffnung, dass wir besser durch diesen Winter kommen.
Die aktuelle Welle hat Sie also nicht überrascht. Mit was haben Sie nicht gerechnet?
Die Geschwindigkeit, mit der gewisse Themen einschlagen, ist unberechenbar. Es gibt wöchentlich, wenn nicht fast täglich neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Im Oktober gab es die ersten Studien, dass die Wirkung der Impfstoffe deutlicher nachlässt, als zunächst angenommen. Dies hat die Situation stark verändert. Vor ein paar Wochen kam dann die Variante Omikron – bis dahin wussten viele nicht, dass es diesen Buchstaben im griechischen Alphabet überhaupt gibt. Mit dieser Variante sind sowohl neue Hoffnungen wie auch Befürchtungen aufgekommen. Dadurch ist es trotz der Erfahrung, welche wir mittlerweile haben, immer wieder überraschend, mit welcher Geschwindigkeit sich die Situation verändern kann und wir wieder darauf reagieren müssen. Ich kann es deshalb durchaus verstehen, wenn sich Bürgerinnen und Bürger über Aussagen ärgern, welche von der Politik in diesem Frühjahr gemacht wurden. Diese Aussagen wurden aber auf dem damaligen Wissenstand gemacht und die Entwicklung hat sie teilweise überholt. Das kann mürbe machen – und ich glaube, das macht es uns alle.
Die Erwartungshaltung an die Regierung in dieser Pandemie ist gross. Wie gehen Sie damit um? Was macht das mit Ihnen?
Regierungschef zu sein, ist in vielen Bereichen vergleichbar mit einer Führungsaufgabe in der Privatwirtschaft. Es wird erwartet, dass man den Überblick hat und dass man Entscheide trifft, auch wenn sie unangenehm sind. Das hat mir in der Vergangenheit Freude bereitet und macht es auch heute noch. Der grosse Unterschied ist, dass man im Kollegium, aber auch persönlich für ein ganzes Land verantwortlich ist. Und die aktuelle Situation geht nicht spurlos an mir vorbei, wenn man nicht nur die Fallzahlen, sondern auch die Todesfälle betrachtet. So etwas nehme ich nicht auf die leichte Schulter. Ebenfalls anders als in der Privatwirtschaft ist die Öffentlichkeit und damit verbunden auch die öffentliche Kritik. Das ist nicht immer angenehm und auch nicht immer fair. An gewissen Tagen kann ich besser damit umgehen und an gewissen Tagen weniger gut.
Gab es in Ihrem ersten Amtsjahr auch schöne Momente?
Ich bin ein positiver Mensch. Deshalb überwiegen auch in diesem Jahr die positiven Momente. Bei den Landtagswahlen gab es ein knappes Resultat. Ich habe es aber sehr positiv empfunden, wie man in relativ kurzer Zeit einen konstruktiven Weg zwischen den Grossparteien gefunden hat. Dabei haben die verschiedenen Exponenten mit grossem Einsatz, aber auch klarem Fokus für die Zukunft des Landes gearbeitet. Nur dadurch war es möglich, dass wir Ende März eine funktionierende Regierung hatten. Auch die Zusammenarbeit in der neuen Regierung empfinde ich als sehr positiv. Wir sind unterschiedliche Persönlichkeiten, aber wir wollen gemeinsam etwas vorwärtsbringen. Und dies schweisst gerade in dieser schwierigen Zeit auch zusammen.
An welche Ereignisse aus 2021 werden Sie sich auch in zehn Jahren noch erinnern?
Für mich persönlich war es sicher der Moment, als der Landtag das aktuelle Regierungsteam mit mir an der Spitze gewählt hat. Ansonsten sind es die vielen Begegnungen mit Menschen, mit denen ich über die Coronamassnahmen der Regierung diskutiert habe – nicht nur mit solchen, die damit einverstanden, sondern vor allem auch mit jenen, welche nicht damit einverstanden sind oder waren. Gerade in den Gesprächen mit den kritischen Personen wollte ich verstehen, warum sie es so sehen, aber auch Verständnis schaffen für unsere Position. Das waren Begegnungen, die mir in Erinnerung bleiben werden. Und ich bin überzeugt, dass wir in unserem kleinen Land weiterhin diesen Weg gehen müssen. Wenn sich jemand einen Schritt entfernt, muss man selbst wieder einen Schritt auf ihn zugehen.
Ein Motto von Ihnen im Wahlkampf, aber auch später war das «Team Liechtenstein». Bei den Coronamassnahmen und der Impfung ist dieses Team in der Bevölkerung aber nicht mehr überall spürbar. Ist das «Team Liechtenstein» gescheitert?
Eine gewisse Spaltung ist sicher vorhanden. Dies sieht man auch an den Demonstrationen vor dem Regierungsgebäude, welche für Liechtenstein eher unüblich sind. Auf der anderen Seite ist es zwar wichtig, dass jeder seine Meinung äussern kann, aber auf der einen Seite ist dies auch überraschend. Dies, weil sich die Kritiker nicht am Ziel orientieren – wir wollen alle aus dieser Pandemie herauskommen – sondern ausschliesslich am Weg dorthin. Mir fehlen bisher die Vorschläge für eine wirkliche Alternative, um das Ziel zu erreichen. Ich habe noch nie gehört, was man denn gerne anders hätte. Wir sind bisher in dieser Pandemie als Land so liberal unterwegs wie fast kein anderes. Wir versuchen, mit möglichst wenigen Einschränkungen durch die Pandemie zu kommen. Am Teamgedanken müssen wir weiterhin arbeiten, denn dieser ist nicht einmal da und dann plötzlich nicht mehr da. In den politischen Gremien – auch in der Zusammenarbeit mit dem Landtag – ist er durchaus spürbar.
Politiker, Ärzte, Gesundheitspersonal und Medien erhalten Hassmails oder sind in den sozialen Medien Anfeindungen ausgesetzt. Erhalten auch Sie solche Schreiben und was macht das mit Ihnen?
Jeder Politiker kennt solche Schreiben. Sie haben sich aber in letzter Zeit gehäuft. Der Inhalt ist aber sehr unterschiedlich. Es gibt Schreiben mit konstruktiven Inhalt, wo man auch merkt, dass die schreibende Person versucht, einen Beitrag zu leisten – und es gibt das Gegenteil. Beschimpfungen und Hassmails gehen wohl an niemandem spurlos vorbei. Bei uns im Land kann jeder mit jedem reden – sogar mit dem Regierungschef. Oft geht es aber nicht um Dialog, sondern ausschliesslich darum, Dampf abzulassen. Dabei gibt es leider auch Personen, welche übers Ziel hinausschiessen. Das ist dann natürlich alles andere als angenehm.
Von welcher Seite kommt die Kritik hauptsächlich?
Die Lautesten sind jene, die grundsätzlich der Meinung sind, dass alles nur erfunden ist. Bei einer solchen Realitätsverweigerung ist es natürlich schwierig, überhaupt einen Zugang zu finden. Dann gibt es durchaus aufgeklärte Kritiker, welche sich etwa aus bestimmten Gründen gegen eine Impfung aussprechen. Hier fällt es nicht schwer, ein gewisses Verständnis aufzubringen. Und mittlerweile kommt die Kritik – die zwar noch nicht so laut geäussert wird – von jenen, die sich impfen liessen und sich immer an die Massnahmen gehalten haben. Von dieser Seite heisst es nun: Straft nicht mehr mich, sondern jene, die nicht mitmachen. Diese Strömung nimmt aktuell zu. Am Ende ist es aber so, dass die Regierung und auch ich als Regierungs-chef für das ganze Land da sind. Wir sind für alle verantwortlich.
Gibt es auch Punkte, wo Sie heute sagen, da hat die Regierung Fehler gemacht?
Die gibt es zweifellos. Wir sind auch innerhalb der Regierung sehr kritisch untereinander. Im Grundsatz haben wir das Gefühl, dass wir gut unterwegs sind. Aber es gibt auf jeden Fall immer wieder Punkte, welche wir rückblickend anders machen würden oder die Kommunikation anders gestalten würden. Aber eine Pandemie lässt sich nicht planen, man kann sie nur versuchen zu steuern.
Welche Hoffnungsbotschaft können Sie der Bevölkerung zu Weihnachten mitgeben?
Wir haben jetzt nur über Corona gesprochen. Was dabei vergessen geht: Unserem Land geht es sehr gut und dies nicht nur wirtschaftlich. Wir ha-
ben so viele Qualitäten und Vorteile. Wir sind gesegnet mit einer schönen und intakten Natur und haben das Naherholungsgebiet direkt vor unserer Haustüre. Es gibt unzählige Dinge, an denen man sich erfreuen kann. Und dies sollten wir uns alle wieder vermehrt vergegenwärtigen und bewusster wahrnehmen. Wir werden nicht schneller aus dieser Coronapandemie kommen, aber mindestens gleich gut oder besser wie andere Länder. Unserem Land ist es vor der Pandemie gut gegangen, während der Krise ist es uns bisher gut gegangen und auch danach wird es uns besser gehen als vielen anderen. Davon bin ich überzeugt. Wir dürfen in einem tollen Land leben. Das sollte uns allen genügend Hoffnung geben.
Wie stark leiden andere politische Themen unter der Coronapandemie?
Wir arbeiten in der Regierung an allen Themen weiter, auch trotz der Pandemie. Aber sie haben im Moment nicht dieselbe Sichtbarkeit. Das Coronathema überlagert seit fast zwei Jahren fast alles. Aber weder in der Politik noch in der Wirtschaft und auch nicht in der Gesellschaft ist Corona das einzige Thema, mit dem man sich beschäftigt. Das ist auch gut so.
Mit welchen Gedanken und Vorsätzen gehen Sie unter diesen Umständen ins neue Jahr?
In einer normalen Phase wären die nächsten zwei Wochen auch für die Regierung eine Phase des Abschaltens. Aktuell wird sich aber die Regierung auch über die Festtage regelmässig austauschen. Politisch stehen für das nächste Jahr einige grosse Projekte an und auf das freue ich mich auch. Auf der anderen Seite begleiten mich in der aktuellen Situation auch gewisse Sorgen. Ansonsten bin ich nicht der Typ für Neujahrsvorsätze. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich etwas ändern sollte, dann warte ich dafür nicht, bis ein neues Jahr beginnt.