Sorgearbeit: Ein sehr politisches Thema
von Jnes Rampone-Wanger, Vorstandsmitglied der Frauenunion
Care- oder Sorgearbeit ist eine gewichtige Stütze unserer Gesellschaft, und gerade in der Coronakrise haben viele Männer gezeigt, dass sie wertvolle Hilfe leisten wollen und können.«Entwicklung ist nicht nur eine Frage von steigendem Einkommen, Bildung, Gesundheit, Selbstbestimmung und sauberer Umwelt, ebenso wichtig ist die Sorge für andere (Care). Das Wesentliche an der Sorge für andere sind die menschlichen Bindungen, die damit aufgebaut und gepflegt werden. Die Sorgearbeit, auch Reproduktionsarbeit genannt, ist zudem unerlässlich für eine nachhaltige Wirtschaft», steht im Programm 1999 der Vereinten Nationen.
Sorgearbeit ist ein Thema, das sehr politisch ist und uns alle angeht. Fakt ist aber, dass gerade die unbezahlte Sorgearbeit vor allem von Frauen geleistet wird, allen voran von Müttern und Grossmüttern. Klar, viele Männer engagieren sich freiwillig in Vereinen oder politischen Gremien und leisten so einen wichtigen Beitrag an unsere Gesellschaft. Dass Sorgearbeit aber vor allem von Frauen geleistet wird, kommt nicht von ungefähr, wir sind so sozialisiert worden, dass es als gottgegeben galt, dass Frauen mehr «Talent» dazu haben, sich um Kinder und Hilfsbedürftige zu kümmern. Das wäre ja auf den ersten Blick auch nicht so schlimm, wären da nicht die grossen Herausforderungen unserer Zeit: demografischer Wandel, der Wunsch nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die Tatsache, dass das Einkommen des Alleinverdieners nicht ausreicht. Dazu kommt, dass viele junge Väter gerne vermehrt Familienarbeit übernehmen möchten, aber weniger Teilzeitstellen angeboten bekommen. Während in Liechtenstein die Hälfte aller berufstätigen Frauen in Teilzeit arbeitet, sind es bei den Männern nur knapp 14 Prozent. Da Familien- und Pflegearbeit Zeit braucht, ist es für Männer oft schwieriger, sich nebst dem Vollzeitjob noch sozial zu engagieren.
Neue Männer hat das Land
Uns geht es gut in Liechtenstein, so lange wir gesund sind, Arbeit haben und keine aussergewöhnlichen Umstände eintreten. Aber schon eine Scheidung, Arbeitslosigkeit oder Gebrechlichkeit im Alter kann die wohlgeordnete Lebensweise durchbrechen. Dann wird Sorgearbeit wichtiger denn je. Und es kann alle treffen: Frauen und Männer, Junge und Alte. Und deshalb geht das Thema uns alle an. Sich um andere zu kümmern, ist nicht nur Christenpflicht, sondern gibt dem Betreuenden auch etwas zurück. In den vergangenen Wochen haben viele Männer erleben dürfen, dass ihre Kompetenzen auch in der Sorgearbeit geschätzt und gebraucht werden. Nehmen wir diesen Schwung doch mit und setzen uns auch auf politischer Ebene dafür ein, dass die Arbeits- und Lebensbedingungen unserer Gesellschaft es auch Männern vermehrt ermöglichen, sich in der Sorgearbeit zu engagieren, und nicht nur von ihr zu profitieren, und dass Frauen in der Familienarbeit eine Existenz- und Al terssicherung zuteil kommt.
Vorbildliche Projekte
Ein gutes Beispiel ist das Projekt «Zeitpolster» des Vereins Zeitvorsorge Liechtenstein. Auch hier haben sich zwar weit mehr Frauen als Männer bereits als Helfende eingetragen. Doch wenn sich die Begeisterung der Männer, die bereits dabei sind, herumspricht, wird sich dies hoffentlich bald ändern. Gerade wichtig in den Themen der Sorgearbeit ist, dass ausgewogene Gremien mit Männern und Frauen mitwirken und mitentscheiden und wir als moderne Gesellschaft auf struktureller Ebene noch Verbesserungen erreichen. Wenn sich Reproduktions- und Sorgearbeit besser unter den Geschlechtern aufteilt, bleibt den Frauen auch mehr Zeit für politisches Engagement.
Sieben Ziele der Sorgearbeit
Frauen in der Politik können mitarbeiten, die auch für Liechtenstein relevanten sieben Ziele der Sorgearbeit zu verwirklichen, welche das Eidgenössische Departement des Innern verfolgt:
- Unbezahlte Care-Arbeit wird als gesellschaftlich zentrale, volkswirtschaftlich relevante und unverzichtbare Arbeit anerkannt.
- Ausbildungen lassen sich mit Care-Verantwortung vereinbaren. Kompetenzen aus unbezahlter Care-Arbeit werden auf dem Arbeitsmarkt angerechnet.
- Unbezahlte Care-Arbeit lässt sich mit einer beruflichen Laufbahn vereinbaren. Die besondere Situation Alleinstehender mit Betreuungsaufgaben wird berücksichtigt – bei Entlastungsangeboten ebenso wie bei Unterhalts- und Vorsorgeregelungen.
- Care-Arbeit ist ausgeglichener auf die Geschlechter verteilt.
- Institutionelle Care-Leistungen sind bezahlbar und auf die Bedürfnisse der Nutzenden abgestimmt.
- Die Arbeitsbedingungen für bezahlte Care-Arbeit sind fair und gemäss den Besonderheiten dieser Arbeit ausgestaltet.
- Es wird genügend Personal ausgebildet.
Um diese Ziele zu erreichen, braucht es ein engagiertes Miteinander. Wir arbeiten daran!