S-Bahn Liechtenstein: Was bringt sie uns?
Seit dem Zweiten Weltkrieg haben sich die Verkehrsträger nicht sonderlich verändert. Alles wurde einfach zu viel mehr und zu viel besser weiterentwickelt, aber grundlegende Innovationssprün ge, wie sie im 19. Jahrhundert von der Muskelkraft zur Motorkraft stattfanden, haben nicht stattgefunden. Darin liegt wohl das Geheimnis der zuverlässigen Vor hersehbarkeit, bei der sich nach wie vor vieles ändert, doch die Räder immer motorgetrieben und erdgebunden auf Strassen und Schienen rollen. Wir wissen also, was uns erwartet und was kommen wird.
Fahr- und Flugzeuge werden künftig vorprogrammiert selbstständig ihre Ziele finden. Dadurch wird der Verkehr zuverlässiger und fehlerminimiert; vermehren wird er sich aber weiterhin mit wachsender Ökonomie und wachsender Bevölkerung. Wie lange und wohin sich diese derzeit herrschende Marktwirtschaft entwickelt, ist ungewiss. Bisher haben sich alle apokalyptischen Voraussagen im Nichts aufgelöst. Die Wirtschaft hat immer wieder neue Kraft gesammelt und neue Märkte erschlossen.
Wachstum braucht Weitblick
Schwarze Schwäne werden zwar ständig in den Himmel gemalt, aber klüger ist man trotzdem immer erst hinterher. So steuern wir unser Erdenschiff durch die Stürme des Alls und hoffen, dass es noch lange gut geht; es sei denn, unsere Jugend erfindet den Weg zum wahren Glück der Gesellschaft in wirtschaftlicher Stagnation und eremitischer Genügsamkeit. Unser Verkehrsbedarf wird also voraussichtlich weiterhin steigen, und wir werden ihn mit den verfügbaren Mitteln bewältigen müssen. Wie in den vergangenen Jahrzehnten wird es auch künftig für den Personenverkehr den motorisierten Indi vidualverkehr (MIV), den öffent lichen Verkehr (ÖV) und den Langsamverkehr (LV) geben.
Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten den ÖV und den LV erfolgreich stark gefördert, weil wir mit dem MIV an der Kapazitätsgrenze angelangt sind. Diese Grenze hat sich zwar gewaltig gedehnt, indem Engstellen geweitet und Knoten leistungsfähiger wurden. Zudem hat sich der Autoverkehr wesensfremd ins breite Netz der Wohnsiedlungen ausgebreitet. Mit dem Weiterwachsen der Wohnbevölkerung und der Zunahme der Arbeitsplätze wächst auch der Bedarf an Mobilität. Der MIV wird aber nicht in der bisherigen Entwicklung mitwachsen können, weil sich das Strassennetz nicht im erforderlichen Ausmass erweitern lässt. Auch wenn wir sehr optimistisch sind und in den nächsten Jahren die paar seit vielen Jahren ins Auge gefassten Projekte zum Bauen bringen, wird sich deshalb die Kapazität nicht wesentlich steigern lassen. Wir brauchen also Alternativen, und dazu bleiben ÖV und LV. Der ÖV verkehrt derzeit auf dem sich bereits an der Leistungsgrenze befindlichen Strassennetz.
Einzugsgebiet wird grösser
Die Fahrstrecken innerhalb einer Stunde beschränken sich heute auf etwa 30 km. Diese Leistung muss in etwa verdoppelt werden, weil das Einzugsgebiet für unsere Arbeitsplätze es erfordert. Dazu benötigt man ein deutlich leistungsfähigeres Streckennetz. Dieses ist zwar mit den bestehenden Schienensträngen vorhanden, aber nicht überall für die regionale Erschliessung ausgebaut. Im benachbarten Vorarlberg und der Ostschweiz wurde die Notwendigkeit erkannt und auch gehandelt. Vorarlberg verfügt über eine bestens ausgebaute S-Bahnverbindung zwischen Bludenz und Bregenz. Auch der Kanton St. Gallen hat die Zeichen der Zeit erkannt und ist mit hohen Investitionen dabei, den regionalen Bahnverkehr zwischen Bodensee und Zürichsee leistungsfähig auszubauen.
Nachdem die Grenzhemmungen durch das Schengen-Abkommen weitestgehend ausgeschaltet sind, haben die beiden Staaten miteinander Kontakt aufgenommen und die beiden Bahnsysteme gegenseitig ergänzend im Norden unseres Rheintals miteinander verbunden. Auch die Verhandlungen mit unserem Land sind seit Langem geführt und die Planung für die Verbindung zwischen Feldkirch und Buchs liegt bereits vor. Dieser Zusammenschluss ist für die ganze Region von grösster Bedeutung, denn wir sind seit Jahrzehnten der Arbeitsplatzmagnet schlechthin. Die weiträumige Erschliessung unserer Arbeitsplätze mit einem leistungsfähigen ÖV-System ist für unsere Wirtschaft schon in baldiger Zukunft überlebenswichtig, denn die Erschliessung per MIV ist gesättigt und deren Erweiterungsmöglichkeit ist äusserst begrenzt.
Bei Nein droht ein Attraktivitätsverlust
Realistisch betrachtet steht die S-Bahn in unserem Land nicht als Frage des Wollens zur Wahl, sie ist das Gebot des Müssens. Zusammenfassend sehe ich die künftige Kapazitätserweiterung im Verkehrsgeschehen vor allem beim ÖV, der mit der ergänzenden S-Bahn ein bedeutend grösseres Einzugsgebiet erschliessen wird und Dank massivem Ausbau von Busspuren, guter Abstimmung und engen Taktfrequenzen hohe Transportleistung bei bester Fahrplantreue erreichen wird. Für den MIV wird man weiterhin Verbesserungen und so weit als möglich auch Kapazitätserweiterungen anstreben und verwirklichen. Falls das Projekt S-Bahn Liechtenstein abgelehnt wird, wird die Wirtschaft längerfristig stagnieren und das Land in vielerlei Hinsicht an Attraktivität einbüssen.