Risch: «Liechtenstein hat es jeweils verstanden, sich seine Kleinheit zunutze zu machen»
von Holger Franke («Liechtensteiner Volksblatt»)
«Volksblatt»: Herr Regierungschef-Stellvertreter, 300 Jahre Liechtenstein sind auch eine Erfolgsge-schichte des Wirtschaftsstandortes – vielleicht vor allem mit Blick auf die vergangenen Jahrzehnte. Wie würden Sie das Erfolgsgeheimnis des Wirtschaftsstandortes Liechten-stein beschreiben?
Daniel Risch: Liechtenstein hat es jeweils verstanden, sich seine Kleinheit zunutze zu machen. Der Schlüssel liegt dabei im Dialog – in der Vernetzung, dem Verständnis und der Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft, Bildung und Forschung. Es gibt nur wenige Länder, in denen Entscheidungen aufgrund der schlanken Verwaltung und kurzen Wege so schnell getroffen werden können wie in Liechtenstein. Diese Flexibilität ist ein wichtiges Element. Ausserdem haben unsere Vorfahren viele mutige und richtige Entscheidungen getroffen und so die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geschaffen, dass sich Liechtenstein heute als das präsentiert, was es ist: Ein stabiler, breit diversifizierter Wirtschaftsstandort mit guter internationaler Vernetzung und Zugang zu zwei Wirtschaftsräumen.
Der Erfolg könnte aber fragil sein, da der Standort – naturgemäss – sehr abhängig vom Ausland ist. Einerseits mit Blick auf den Schweizer Wirtschaftsraum, die Europäische Union, in einer globalisierten Welt aber auch gesamtweltwirtschaftlich. Se-hen Sie hier überhaupt eine Chance, Liechtenstein für die Zukunft wirtschaftlich robuster aufzustellen?
Liechtenstein ist heute bereits robust aufgestellt. Eine breit diversifizierte Wirtschaft, sehr gute Rahmenbedingungen und politische Stabilität tragen dazu bei. In der heutigen globalisierten Welt ist jeder Staat in gewisser Weise abhängig vom Ausland. Als Kleinstaat mit grossem Exportanteil sind wir aber natürlich stärker betroffen als grössere Staaten. Liechtenstein hat vergangenes Jahr über 50 Prozent des BIP aus Exporten generiert. Das macht pro Kopf 90 000 Franken. Neben der Politik, die weiterhin für gute Rahmenbedingungen besorgt ist, sind auch die Unternehmen gefordert, vorauszuschauen und die Trends und Entwicklungen in ihrem Bereich frühzeitig zu erkennen. Dass sie dazu in der Lage sind, haben sie in der Vergangenheit eindrücklich bewiesen und in verschiedenen Bereichen auch Entwicklungen aktiv mitgestaltet.
Eine der Auswirkungen der speziellen Situation Liechtensteins ist der Einkaufstourismus. In den vergangenen Jahren wurde – auch in der Schweiz – immer wieder über mögliche Lösungsansätze nachgedacht, die vor allem der liechtensteinische Handel regelmässig fordert. Einschneidende Massnahmen hat es bislang aber nicht gegeben. Sehen Sie als Wirtschaftsminister hier keinen Handlungsbedarf?
Der Detailhandel steht einerseits durch den Einkaufstourismus, andererseits durch den Onlinehandel unter Druck. Auch vor diesem Hintergrund hat mein Ministerium im letzten Jahr eine Umfrage zum Detailhandel lanciert. In den Gesprächen, die ich mit einzelnen Detailhändlern führen konnte, hat sich gezeigt, dass nicht nur der Preis, sondern gerade auch die Breite und Tiefe des Sortiments und die persönliche und kompetente Beratung im Zentrum stehen. Und es zeigt sich umgekehrt, dass Kunden nicht nur am Sonntag aufgrund der liberaleren Öffnungszeiten gerne nach Liechtenstein zum Einkaufen kommen, sondern auch, weil die hiesigen Geschäfte mit ihrem Angebot oder ihrer Beratung überzeugen.
Für Aufregung hat auch das neue Gewerbegesetz gesorgt, das noch immer auf sich warten lässt. Vielleicht ein «gutes» Beispiel dafür, in welchem Spannungsfeld ein kleines Land wie Liechtenstein ständig steht: Einerseits die Anpassung an europäische Spielregeln, andererseits aber auch der Wunsch nach einem gewissen Protektionismus. Wie vollziehen Sie als Wirtschaftsminister diesen «Spagat»?
Die Totalrevision des Gewerbegesetzes wird voraussichtlich im März-Landtag behandelt werden können. Die Revision führt zu einer Vereinfachung und zu Bürokratieabbau, was zweifelsohne zu begrüssen ist. Obwohl gewisse Änderungen auf Druck eines Urteils des EFTA-Gerichtshofes notwendig werden, bin ich überzeugt, dass wir in Anlehnung an das österreichische System einen Weg gefunden haben, der den Übergang vom heutigen Bewilligungssystem zu einem Meldesystem – unter Beibehaltung der Bewilligungen für die qualifizierten Gewerbe – auch im Sinne der Wirtschaftstreibenden regelt. Es ist für uns als Kleinstaat zwischen der Schweiz und dem EWR aber manchmal so, dass wir da und dort solche «Spagate» machen müssen. Es geht letztendlich darum, eine EWR-konforme und für unser Land passende Lösung zu finden. Ich bin der Meinung, dass dies bis jetzt weitestgehend sehr gut gelungen ist und ich bin zuversichtlich, dass dies uns auch in der Zukunft gelingen wird.
Zwar wächst nichts ewig – aber gehen wir einmal davon aus, dass der Standort Liechtenstein auch künftig wachsen dürfte: Innovationen gelten als Wachstumstreiber. Ist Liechtenstein innovationsfreundlich genug, oder verfolgen Sie konkrete Pläne, das Land an dieser Schlüsselstelle weiter zu stärken?
Das starke Unternehmertum und die zahlreichen Unternehmen, die in ihren Bereichen zu den Besten der Besten gehören, zeigen, dass es um die Innovationskraft in Liechtenstein und der Region sehr gut bestellt ist. Die liechtensteinischen Unternehmen investieren zudem viel in Forschung und Entwicklung. Vergangenes Jahr wurden in Liechtenstein 9,2 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung ausgegeben – im internationalen Vergleich ein Spitzenwert. Auch die Initiativen und Plattformen, die sich im Bereich des Innovationstrichters in Liechtenstein entwickelt haben, sind vielversprechend. Ideenkanal, Investor Summit, Technopark, digital-liechtenstein oder der neue Business Angel Club sind nur ein paar Beispiele, die zeigen, dass auch auf kleinem Raum viel entsteht. Direkt aktiv war die Politik in den letzten Jahren unter anderem auch über die Unterstützung des Forschungs- und Innovationszentrums RhySearch oder durch die Innovationschecks.
Wir haben bereits darüber gesprochen, dass für Liechtenstein immer wieder einmal ein Spagat nötig ist. Das dürfte auch beim Thema Fachkräftemangel der Fall sein. Eine Öffnung für ausländische Fachkräfte wird vielfach gewünscht, einer weiteren Zuwanderung hingegen steht viel Ablehnung gegenüber. Welchen Standpunkt vertreten Sie in dieser Frage?
Ich bin überzeugt, dass die Sonderlösung der Zuwanderung, die damals im Zuge des Beitritts zum EWR für Liechtenstein gefunden werden konnte, eine sehr gute Lösung für unser Land darstellt. Wenn man einen Blick über die Grenzen wirft, wird klar, dass der Fachkräftemangel kein Liechtenstein-spezifisches Problem ist, sondern alle boomenden Wirtschaftsregionen und gerade auch unsere deutschsprachigen Nachbarstaaten beschäftigt. Zuwanderung ist eine allenfalls kurzfristige Lösung – mittel- und langfristig muss die Lösung aber Aus- und Weiterbildung heis-sen.
Die Legislaturperiode dauert noch rund zwei Jahre an – Es wurde früh kommuniziert, dass Sie bei den nächsten Wahlen als Regierungschefkandidat ins Rennen gehen werden. Mit welchen Zielen wollen Sie die Erfolgsgeschichte des Fürstentums Liechtenstein somit in den kommenden Jahren prägen?
Glücklicherweise geht es Liechtenstein und den Menschen, die hier leben, in vielen Bereichen sehr gut. Dennoch erscheint es mir wichtig, wieder Mut zu fassen und in die Zukunft unseres Landes zu investieren. Es ist bereits heute absehbar, welche Herausforderungen in den nächsten Jahren auf unser Land warten – im Bereich der Demografie, der Mobilität, aber auch der internationalen Vernetzung und des internationalen Wettbewerbs. Es muss unser Ziel sein, dass Liechtenstein auch in Zukunft ein lebenswerter und zu Recht selbstbewusster Kleinstaat ist. Und dafür sollten wir nicht erst in der nächsten Legislatur, sondern schon heute die Weichen stellen. Für das anstehende Jubiläumsjahr und darüber hinaus bin ich überzeugt, dass uns etwas mehr Solidarität und Zusammenhalt und etwas weniger Individualismus guttun werden.