«Opfer-Täter-Symmetrie wirkt stossend»
(ein Interview von Desirée Vogt. Erschienen im Liechtensteiner Vaterland vom 25. Oktober 2022)
Herr Kaufmann, Tatbestände im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen sowie der Besitz von kinderpornografischem Material sollen härter bestraft werden. Was war Ihr Antrieb?
Manfred Kaufmann: Mir ist es ein Anliegen von absoluter Wichtigkeit, dass Kinder und Jugendliche höchsten Schutz durch die Gesetze und die Rechtsanwender erfahren. Sie können sich in den meisten Fällen nicht oder nur schwer zur Wehr setzen und haben oft lebenslang an den Folgen von solchen schweren Delikten zu leiden, seien dies körperliche oder insbesondere auch seelische Schäden. Täter hingegen können sich häufig nach Bezahlung einer geringen Geldstrafe oder nach der Verbüssung verhältnismässig kurzer Strafen wieder in Freiheit bewegen.
Sie stören sich also hauptsächlich an der Unverhältnismässigkeit?
Die Opfer-Täter-Symmetrie wirkt in dieser Hinsicht vielfach sehr stossend. Man hat oft den Eindruck, dass Täter für die Schwere ihres angerichteten physischen und psychischen Leids nicht einer der Tat angemessenen gerechten Strafe zugeführt werden. Ich vertrete klar die Auffassung, dass die potenziellen Opfer solcher schwerkriminellen Tathandlungen gesetzlich besser geschützt werden sollten. Es kann meiner Meinung nach nicht angehen, dass die Täter aufgrund falscher oder zu viel an Rücksichten und Sensibilitäten Schonung erfahren und die Opfer solcher Tathandlungen mit immensem zugefügtem Leid praktisch vergessen gehen. Hier liegt meines Erachtens ein klares Missverhältnis vor, sowohl was die Gesetze als auch vielfach die gesprochenen Urteile anbelangt. Ich stellte daher bereits im Jahre 2019 bei der Anpassung des Strafgesetzbuches den Antrag, das Strafmass beim «sexuellen Missbrauch von Minderjährigen» angemessen zu erhöhen, was eine Mehrheit im Landtag unterstützte. Dies war jedoch lediglich ein Teilaspekt. Ziel war es letztlich, die relevanten Bestimmungen des Strafgesetzbuchs dahingehend anzupassen, wonach bei Vorliegen von Kindsmissbrauch oder dem Besitz von kinderpornografischem Material die Delinquenten zukünftig mit einem härteren Strafmass konfrontiert werden.
Gab es einen bestimmten Fall bzw. ein Gerichtsurteil, das Sie in Erinnerung haben?
Nach meinem Antrag im Jahr 2019 wurde ich auch von Opfern eines Kindsmissbrauchs angesprochen. Diese bedrückenden Erlebnisdarlegungen festigten in mir den Entschluss, einen entsprechenden parlamentarischen Vorstoss zu lancieren, um den aktuellen gesetzlichen – sagen wir mal – Missstand, was die Strafmasse betrifft, einer Revision zuzuführen. In Erinnerung ist mir dabei ein Fall aus dem Jahre 2019. Ein Besitzer von grossen Beständen an kinderpornografischem Material wurde lediglich zu einer geringen Geldstrafe von 1800 Franken in Verbindung mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. Wäre der Delinquent betrunken Auto gefahren, so wäre seine Busse höher ausgefallen als der Besitz von abscheulichem kinderpornografischem Material.
Es gab einen weiteren Fall, zu dem sich auch viele Leserbriefschreiber äusserten und sich entsetzt über das Urteil zeigten …
Ja, dieser Fall wurde ebenfalls in den Medien veröffentlicht. Der Täter wurde für den sexuellen Missbrauch an mehreren Mädchen in Liechtenstein in erster Instanz bloss zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt. Stossend dabei auch das Argument, dass die bis dato vorhandene Unbescholtenheit des Täters vom Gericht als strafmildernd berücksichtigt wurde. Und das ungeachtet seiner vorsätzlich über einen Zeitraum von mehreren Jahren begangenen wiederholten sexuellen Straftaten. Einige der Opfer und deren Familien waren mir persönlich bekannt. Das milde Urteil löste nicht nur bei ihnen und in Teilen der Bevölkerung, sondern auch bei mir grosses Unverständnis aus. Dieser Anlass bestärkte mich einmal mehr, hier vorstellig zu werden.
Die Regierung will den Strafrahmen nun erweitern, die Mindeststrafen werden verschärft und teilweise gar verdoppelt. Stehen die Strafen bei einer Gesetzesänderung in Relation zu den Vermögensdelikten?
Das Verhältnis zwischen Vermögensdelikten und Delikten gegen sexuelle körperliche und psychische Integrität von Kindern in Bezug auf die gesetzlichen Strafandrohungen steht meines Erachtens in einem offensichtlichen Missverhältnis. Hier gilt es die Hebel anzusetzen, wobei nicht die Vermögensdelikte einer tieferen Strafandrohung unterstellt werden sollen, sondern die verschiedenen Delikte beim Kindsmissbrauch härter zu bestrafen sind. Letztlich geht es mir um die Würde der Menschen, insbesondere von Kindern. Dieses Gut gilt es unter allen Umständen nicht nur zu respektieren, sondern sollte privilegierten Schutz und die grösste Wertschätzung erhalten. Der Schutz des Lebens, der körperlichen und geistigen Integrität des Menschen – letztlich der Menschenwürde – sollte daher in den Strafgesetzen höchste Priorität geniessen. Hier sind wir als Gesetzgeber mit Nachdruck gefordert, diese Wertigkeit in die entsprechenden Regularien zu implementieren.
In der Vernehmlassung wurde kritisiert, dass der Anstoss auf einer falschen Überlegung beruhe. Denn die Höhe der Strafe für den Unrechtsgehalt werde nicht über die Tagessatzhöhe geregelt, sondern über deren Anzahl. Können Sie diese Kritik vonseiten der Juristen nachvollziehen?
Die Tagessätze betragen seit Inkrafttreten des Strafgesetzbuches im Jahre 1989 unverändert mindestens 10 Franken und maximal 1000 Franken. Im Jahre 2019 wurde beispielsweise ein Delinquent für den Besitz einer enorm grossen Datenmenge an kinderpornografischem Material lediglich mit einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen à 10 Franken und einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Der Delinquent verfügte praktisch über kein Einkommen, weshalb die Geldstrafe – meines Erachtens wenig abschreckend – sehr tief ausfiel. Das österreichische Strafrecht sieht aktuell ein Strafgeld von 4 bis 5000 Euro je nach Schwere des Tatbestands vor. In Deutschland sogar bis zu 30 000 Euro. Das liechtensteinische Strafrecht sieht hingegen lediglich eine Maximalstrafe in Höhe von 1000 Franken vor. Schon im Rechts- bzw. Ländervergleich ist ein Anpassungsbedarf ersichtlich. Mit dem neuen Tagessatzmodell findet ein zielführender Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Einkommensverhältnissen bei potenziellen Tätern statt. Meines Erachtens wurden die Tagessätze nun angemessen revidiert. Das ist für mich auch das richtige Signal.
Die Regierung will die Tagessätze, die an die persönliche und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Straffälligen angepasst werden, also moderat erhöhen. Können Sie dahinterstehen?
Ich kann da absolut dahinterstehen. Mit der Vorlage schlägt die Regierung eine Erhöhung der Tagessätze von bisher 10 bis 1000 Franken auf neu 15 bis 5000 Franken vor. Dies ist absolut verträglich. Falls man die Maximalhöhe bei 1000 Franken belassen würde, so werden sehr reiche Personen nicht ausreichend spürbar sanktioniert.
Der Landtag wird die Vorlage im November behandeln. Was erhoffen Sie sich?
Die Motion wurde im Juni 2021 einstimmig an die Regierung überwiesen. Hierfür möchte ich mich nochmals beim Landtag für dieses unmissverständliche Zeichen einer Politik der Nulltoleranz gegenüber jeder Art von Kindsmissbrauch bedanken. Auch bei der Justizministerin Graziella Marok-Wachter für die rasche Umsetzung der Motion. Für den November-Landtag erhoffe ich mir eine konstruktive Debatte und einen klaren Eintretensbeschluss des Landtags auf die Gesetzesvorlage.