Liechtenstein in der Zeitenwende – Gedanken zum Staatsfeiertag 2022
Zeitenwende – ein grosses Wort. Lange aber war das Wort nicht mehr so angebracht wie dieser Tage. Nach dem Ausbruch der globalen Pandemie im Jahr 2020, ein Ereignis, welches die Welt seit 100 Jahren nicht mehr gesehen hat, folgte ab Februar 2022 der brutale Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der nun schon ein halbes Jahr andauert und uns mit grausamen Kriegsverbrechen mitten in Europa wieder an dunkle, vergangen geglaubte Zeiten erinnert. Gleichzeitig hat sich auch in Asien die Welt verändert. Mit der Niederschlagung der demokratischen Proteste in Hong Kong, der Zwangsinternierung von hunderttausenden von Uiguren in der Provinz Xinjiang und der immer aggressiveren Bedrohung Taiwans beschreitet auch China zunehmend den Weg der Autokratie.
Die Welt scheint sich immer stärker wieder in zwei sich feindlich gegenüberstehende Blöcke zu trennen, ein neuer kalter Krieg deutet sich an.
Was hat das alles mit Liechtenstein zu tun? Die Folgen der erwähnten geopolitischen Veränderungen sind global und treffen auch Liechtenstein stark. Unsere Industrie ist Teil der globalisierten Welt, sie benötigt fossile Rohstoffe als Energieträger, genauso wie es die privaten Haushalte tun. Gleichzeitig produziert unsere Industrie Produkte, die von der Lieferung von Teilen aus dem weltweiten
Ausland abhängen. Schliesslich sind sowohl der Finanzplatz als auch der Staatshaushalt eng verwoben mit der Entwicklung an den weltweiten Finanzmärkten und den grossen Volkswirtschaften. Eine globale Rezession oder starke Inflation trifft uns alle.
Zu dieser schwierigen geopolitischen Lage gesellt sich der zunehmend wahrnehmbare Klimawandel und ein dramatischer Verlust an Biodiversität. Beide Entwicklungen stellen eine zusätzliche reale Bedrohung für die Zukunft dar.
Liechtenstein kann diese Herausforderungen aus einer Position der Stärke heraus angehen, das ist erfreulich. Mit Vollbeschäftigung und Fachkräftemangel als Zeichen einer kerngesunden Wirtschaft, mit hohen Staatsreserven und null Staatsverschuldung als Zeichen eines gesunden Staatshaushalts, und mit einem der weltweit höchsten Pro-Kopf-Einkommen bei geringer Steuerbelastung könnten wir den ganzen globalen Veränderungen gelassen zuschauen. Aber sollten wir das tun? Nein. Wir sind gut beraten, uns aktiv darum zu bemühen, unsere gute Lage auch für kommende Generationen abzusichern. Es wäre kurzsichtig und egoistisch, wenn wir uns auf dem Status Quo ausruhen und darauf vertrauen, dass wir auch weiterhin einfach das Glück des Tüchtigen haben werden. Genauso egoistisch und verwerflich wäre es, wenn wir uns nicht mit Europa und der freien Welt solidarisch zeigen würden, und uns nicht gemeinsam gegen Unrecht und Krieg in der Welt einsetzen würden. Auf welcher Seite Liechtenstein steht, das muss klar und deutlich sein, denn das Recht des Stärkeren kann für einen Kleinstaat niemals ein akzeptables Konzept sein.
All dies erfordert Mut zu Veränderungen, bei gleichzeitigem Abwägen vernünftiger Lösungen, die von einer möglichst breiten Bevölkerungsbasis mitgetragen werden. Die Vaterländische Union steht für diesen Weg der positiven Veränderung unter aktivem Einbezug der Bevölkerung. Tragfähige Lösungen für die Herausforderungen dieser Zeitenwende erfordern einen breiten Dialog und das Finden von stabilen Mehrheiten im politischen Prozess. Die VU will dazu ihren konstruktiven Beitrag leisten.
Wir wünschen allen Einwohnerinnen und Einwohnern Liechtensteins einen schönen Staatsfeiertag und ein gelungenes Fürstenfest 2022.