Kritische Gedanken zu «HalbeHalbe»
Der Leserbrief von Roland Marxer am Donnerstag hat mich irritiert: Warum soll man etwas in die Verfassung schreiben, was unverbindlich bleiben soll? Dann kann man es doch genauso gut sein lassen?! Was ist, wenn die «Förderung derausgewogene Vertretung von Frauen und Männern in politischen Gremien» in der Verfassung steht, das Qualifikationsprinzip aber nicht darin verankert ist? Die Politik solle damit beauftragt werden, dieses Ziel zu verfolgen. Diesen Auftrag haben wir Parteien spätestens seit der Einführung des Frauenstimmrechts erhalten und verstanden. Wir bemühen uns enorm, die Frauen von politischer Teilhabe zu begeistern. Mal erfolgreicher, mal weniger erfolgreich. Aufs und Abs gehören zur Politik und zu gesellschaftlichen Prozessen dazu. Dass wir gerade bei diesem Prozess vielen Nationen in Europa hinterherhinken, ist historisch gut erklärbar. Absichtserklärungen jedoch – die Ausführungen der Initianten lassen darauf schliessen, dass die Implikationen in der Verfassung solche sein sollen – gibt es zu diesem Thema genug. Die Gleichberechtigung ist in der Verfassung verankert. Gleichbehandlung in der Politik hängt aber nicht von den Verfassungsbestimmungen ab, sondern von den handelnden Personen. Es ist selten genug der Fall, dass ich mit dem Gesellschaftsminister Mauro Pedrazzini einer Meinung bin. Aber er meinte im Vaterland vom 11. Februar: «Man muss darauf achten, dass es keine Zwängerei wird, sonst wird das letztlich in der Sache kontraproduktiv sein.» In meinen täglichen Gesprächen höre ich, dass es leider so herauskommt, dass diese Initiativen als Zwängereien wahrgenommen werden.
Das schmälert meiner Ansicht nach die grossen Verdienste der Frauenorganisationen: Sie leisten einen wertvollen Beitrag zur besseren Beteiligung von Frauen in der Politik. Dafür bedanke ich mich herzlich. Der Dank geht auch an die Frauenunion, mit der ich in diesem Punkt nicht einer Meinung bin. Die erfolgreiche Rekrutierung der Parteien bei den Gemeinderatswahlen sowie die Kampagnen dieser Organisationen führten dazu, dass viele Frauen gewählt wurden: Auf Seiten der VU sind mittlerweile 76 Prozent der nominierten Kandidatinnen im Gemeinderat. Und das ist gut so! Auf diesem Weg müssen und werden wir weitermachen. Die bewusstseinsbildenden Massnahmen der erwähnten Organisationen helfen uns dabei.
Die VU steht klar dafür ein, dass die Rahmenbedingungen für Frauen laufend verbessert werden, damit sie auch politisch aktiv werden können. Vorstösse im Rahmen von Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Familie als Beruf sollen auch der Freiheit der Frauen zuträglich sein, sich politisch zu engagieren. Am Ende müssen wir es den Menschen – egal welchen Geschlechts – aber selbst überlassen, ob sie mitmachen wollen oder nicht. Sonst landen wir eben bei der oben erwähnten kontraproduktiven Zwängerei. Der freie Wille und die freie Wahl sind Grundlagen unserer liberalen Gesellschaft, die wir nicht mit Überreglementierungen untergraben sollten.
Was wir beim Fokus auf Quote, HalbeHalbe und Co. aber oft leider vergessen: Neben den Frauen sind auch Menschen unter 40 in der Politik deutlich unterrepräsentiert. Diese Generation wird es sein, die künftige Herausforderungen zu bestreiten hat. Wir sollten – neben den Frauen auch bedeutend mehr Junge in die Politik bringen.