Graziella Marok-Wachter: «Es gibt nicht die eine grosse Lösung»
Graziella, du hast bei deinem Regierungseintritt mit den Ressorts Infrastruktur und Justiz zwei grosse Themenfelder zur Bearbeitung bekommen. Würdest du diese Aufgaben wieder annehmen, wenn du wählen könntest?
Graziella Marok-Wachter: Das kann ich klar mit einem Ja beant- worten. Beide Themenbereiche sind mit vielfältigen Herausforderungen verbunden und lassen grossen Gestaltungsraum für poli- tische Entscheidungen. Während der Geschäftsbereich Justiz in vie- len Bereichen eine Spezialistenmaterie darstellt, zum Beispiel bei Fragen der Gerichtsorganisation, ist die Infrastruktur des Landes, also vor allem Strassen sowie Verwaltungs-, Schul- und Kulturbauten, für uns alle sehr sichtbar und Teil unseres täglichen Lebens. Gerade diese Breite meines Tätigkeitsgebiets gefällt mir sehr.
Kurz nach deinem Amtsantritt hast du das unübersichtliche Amt für Bau und Infrastruktur «zerschlagen». Es entstand vor acht Jahren im Zuge der Verwaltungsreform. Waren die Missstände so gross bzw. was sind deine Überlegungen hinter dieser Aufteilung?
Von Missständen beim Amt für Bau und Infrastruktur kann keine Rede sein. Das sehr grosse Amt wurde neu in drei separate Organisationseinheiten aufgegliedert. Diese Reorganisation zielte darauf ab, die Organisationsstrukturen zu vereinfachen und damit für Bürgerinnen und Bürger sowie andere Anspruchsgruppen direkte Wege zu den entscheidungstragenden Stellen zu schaffen. So konnte die Kundenfreundlichkeit der Amtsstellen verbessert werden. Die Er- fahrungen der ersten knapp drei Monate mit der neuen Organisa- tionsform bestätigen, dass die Entscheidung richtig war.
Die Regierung ist stark mit den Themen der Nachhaltigkeit und den Klimazielen beschäftigt. Kannst du das Wort Photovoltaik bzw. PV eigentlich noch hören?
Aber selbstverständlich. Wie bei allen Technologien gilt es auch in Bezug auf PV-Anlagen, Wirkungen und Zusammenhänge zu verste- hen, verschiedene Interessens- lagen zu berücksichtigen bzw. gegeneinander abzuwägen, um letztlich differenzierte Lösungen zu finden. Die PV-Technologie stellt ein zentrales Element im Bereich der erneuerbaren Energien dar und wird weiterhin an Bedeu- tung gewinnen. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit dieser Materie ist daher unabdingbar.
Neben den Fragen rund ums Bauen, das sich in unserem Land nach wie vor grosser Beliebtheit erfreut, bewegen die Verkehrsthemen die Bevölkerung und die Politik sehr stark. Was hast du zur Liechtensteiner Verkehrspolitik in diesen Monaten gelernt?
Es gibt nicht «die eine grosse Lö- sung», die alle Verkehrsprobleme löst. Verkehrssituationen finden immer an einer bestimmten Stelle statt. Zum Beispiel steht man vor einer Fussgängerampel, man war- tet mit dem Auto an einer Kreu- zung oder der Bus hält auf der Strasse an, da keine Busbucht besteht. Es bestehen vielfältige Interessenskonflikte zwischen den verschiedenen Verkehrsteilneh- merinnen und -teilnehmern in Bezug auf die Nutzung der Verkehrsflächen. So führt zum Beispiel die Bevorzugung von Fussgängerinnen und Fussgängern an einer Ampel dazu, dass Autofahrende länger warten müssen. Davon ist auch der öffentliche Ver- kehr betroffen und diesen wollen wir ja gerade fördern, da dies dazu beiträgt, den Individualverkehr zu reduzieren. Dieses Beispiel einer Ampelsteuerung zeigt auf, dass viele Abhängigkeiten in Bezug auf den Verkehrsfluss bestehen. Dies gilt nicht nur für eine konkrete Situation, sondern auch darüber hinaus. So kann ein Stau in Schaan auch zu Mehrverkehr in Bendern führen. Die verschiedenen lokalen und regionalen Zusammenhänge müssen berücksichtigt und die Interessen der verschiedenen Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer müssen gegeneinander abgewogen werden.
Im Justizbereich stehen ebenfalls interessante Themen an: Der Landtag hat bei der Debatte rund ums Partnerschaftsgesetz signalisiert, dass er sämtliche Ungleichbehandlungen beseitigen möchte, wenn es um die sexuelle Ausrichtung geht. Was plant hier die Regierung?
Offenbar ist es der Wille einer Mehrheit des Landtags, dass es in Bezug auf Adoptionen und Fortpflanzungsmedizin eine völlige Gleichstellung zwischen heterosexuellen und homosexuellen Paaren geben soll. Die Entscheidung des Landtages bewirkt, dass ab ca. Mitte Juli im Partnerschaftsgesetz zwar das Adoptionsverbot aufgehoben ist, im Adoptionsrecht aber die entsprechenden Bestimmungen fehlen. Bisher ist im geltenden Adoptionsrecht nämlich nur verheirateten Paaren die gemeinsame Adoption möglich und somit sind gleichgeschlechtliche Paare generell von der gemeinsamen Adoption ausgeschlossen. Wir haben hier somit einen Widerspruch in den Gesetzesmaterien. Darum arbeiten wir aktuell an einer Gesetzesvorlage, um im Adoptionsrecht eine völlige Gleichstellung zwischen gleich- und verschiedengeschlechtlichen Paaren herzustellen. Gemäss unserer Planung wird die Vernehmlassung noch vor den Sommerferien starten.
Ein weiterer grosser Bereich ist die Organisation der Judikative. Im Koalitionsvertrag steht, man wolle das «Staatsanwaltschaftsmodell» prüfen, um das Landgericht zu entlasten. Wie weit ist man in diesem Bereich?
In der Zusammenarbeit zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Untersuchungsrichter bestehen aktuell Doppelspurigkeiten, die einerseits Verzögerungen bei der Aufklärung des Tatverdachts und andererseits nicht notwendige personelle Mehrbelastungen und Kosten verursachen. Diese Doppelspurigkeiten sollen aufgelöst werden. Das Staatsanwaltschaftsmodell beinhaltet diesbezüglich Lösungspotenzial. Verschiedene Aspekte wurden mit den betroffenen Stellen bereits diskutiert. Nun geht es darum, in einer Arbeitsgruppe die Lösungsmöglichkeiten vertieft zu prüfen, wobei der Fokus auf Effizienzsteigerung liegen soll.
Ebenfalls Thema ist die Optimierung des Trustrechts. Was ist hier geplant?
Das Trustrecht ist bald 100 Jahre alt und hat sich bewährt. Dennoch ist es wichtig, den Rechtsrahmen regelmässig an die Erfordernisse des Marktes unter Berücksichtigung internationaler Entwicklungen anzupassen. Aktuell führen wir Gespräche mit den Marktteilnehmern, um zu eruieren, wo Optimierungsbedarf besteht. In der Folge geht es darum, Lösungsansätze auszuarbeiten. In diesem Zusammenhang prüfen wir auch die Einführung eines Spezialgerichts für Trusts bzw. das Trustrecht. Dadurch könnte die Attraktivität des Trustrechts in Liechtenstein zusätzlich gesteigert werden.
Interview: Michael Winkler