Für Brigitte Haas könnte sich bald ein Kreis schliessen
Es ist für Brigitte Haas immer noch überraschend, wenn sie den Satz «Man kennt dich halt» hört – obwohl die Aussage eigentlich nahe liegt. Seit Jahrzehnten ist sie im Land sichtbar, sei es in politischen Kommissionen, als Diskussionsteilnehmerin auf Podien oder als Aufsichtsrätin im Kulturbereich. Und trotzdem: Wenn sie den Satz hört, reagiert sie auch heute noch etwas verlegen: «Es ist mir nicht immer bewusst, dass ich mittlerweile zu den bekannteren Personen im Land gehöre.»
Dieser Bekanntheitsgrad dürfte sich nun, da die 59-Jährige für den Posten der Regierungschefin kandidiert, nur noch vergrössern. Dass sie plötzlich Menschen aus heiterem Himmel ansprechen, wie kürzlich an der Lihga, ist aber kein Problem für sie – im Gegenteil: «Unter Leuten fühle ich mich wohl.»
«Einzelgängerin zu werden, konnte gar nicht passieren»
Warum sie so kontaktfreudig ist, kann Brigitte Haas schnell begründen. Ihre Eltern waren Inhaber des Fachgeschäfts Keramik Haas in Schaan. Zum Familienunternehmen gehörte neben der Produktionsstätte ein Ladengeschäft, wo täglich Kundinnen und Kunden ein und aus gingen. «So konnte es gar nicht passieren, dass ich mich zur Einzelgängerin entwickle», so die Regierungschefkandidatin.
Gleichzeitig verbringt sie gerne Zeit für sich. «Faul herumhängen», wie sie es nennt, sei aber nichts für sie – ihre freie Zeit verbringt sie am liebsten auf dem Fahrrad, mit Reisen oder mit einem Roman. Besonders wenn es ums Lesen geht, fangen die Augen der Juristin an zu leuchten: Als Kind sei sie ein richtiger Bücherwurm gewesen, und das sei bis heute so geblieben. Wie üblich bei passionierten Leserinnen, tut sich auch Brigitte Haas schwer, ihr absolutes Lieblingsbuch zu nennen. «Da gibt es einfach zu viele.»
Im Gespräch lässt sie sich letztlich doch auf einige ihrer liebsten Autorinnen und Autoren festnageln: Den US-Amerikaner John Steinbeck, den Deutsch-Österreicher Daniel Kehlmann – und nicht zuletzt die kürzlich verstorbene Kanadierin Alice Munro. «Schliesslich müssen sowohl Frauen als auch Männer auf meine Liste», sagt Haas und lächelt. Gleichstellung ist für sie ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema.
Kinderbuchautorin weckte Begeisterung fürs Reisen
Die Lieblingsautorin ihrer Kindheit war Federica de Cesco, die mit der Beschreibung fremder Welten ihre Leidenschaft fürs Reisen und für ferne Länder geweckt hat. Die perfekten Ferien beschreibt sie so: «Die ideale Kombination ist das Erkunden des Ferienziels mit dem Fahrrad, verbunden mit kulinarischem Genuss am Abend.»
Zu den Aktivitäten neben der Arbeit – Brigitte Haas ist Geschäftsführerin der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer (LIHK) – gehörten immer das gesellschaftliche Engagement – beispielsweise im Vorstand des Historischen Vereins, beim TAK, im Verein Bildungsarbeit für Frauen oder heute in einer Stiftung, die weltweit Kinder und Frauen unterstützt.
«Geschlechterfrage sollte sich nicht mehr stellen»
Um das «Frauenthema» wird sie im Wahlkampf nicht herumkommen, schliesslich wäre sie, wenn sie es ins Regierungsgebäude schafft, die erste weibliche Regierungschefin in der Geschichte Liechtensteins. Obwohl Brigitte Haas die Chancengleichheit am Herzen liegt, will sie ihr Geschlecht bei der Kandidatur nicht in den Vordergrund stellen. Darauf angesprochen, ob Frau-Mann-Fragen überhaupt thematisiert werden sollen, wählt ihre Worte sorgfältig: «Im Prinzip wäre die Gleichstellung dann gegeben, wenn sich die Frage nach dem Geschlecht in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft überhaupt nicht mehr stellen würde.» Und letztlich stehe sie dafür, dass es auf die Qualifikation und die Persönlichkeit ankomme, wenn sich jemand für ein Amt oder eine Stelle bewerbe – und nicht aufs Geschlecht.
Auch wenn Brigitte Haas die erste Regierungschefin des Landes wäre: Das Regierungsgebäude kennt sie schon bestens. Sie hat sogar sofort eine Anekdote parat, von der die jüngere Bevölkerung wohl noch nie etwas gehört habt: «Früher war im Untergeschoss das Gefängnis untergebracht.» Dieses Wissen hat die Regierungschefkandidatin, weil sie während vieler Jahre in der Landesverwaltung gearbeitet hat – unter anderem ein Stockwerk über dem besagten Gefängnis, als Assistentin des Polizeichefs.
Sie wollte viel, aber wusste zunächst nicht genau, was
Der Blick auf die schulische Laufbahn der Juristin zeigt: Sie ist eine wissensdurstige Praktikerin. Ihre Lehrer in der Primarschule legten ihr nahe, dass sie das Gymnasium besucht. Als Jugendliche hatte Brigitte Haas jedoch andere Pläne: Zuerst rein ins Arbeitsleben, um etwas eigenes Geld zu verdienen und unabhängig zu sein, um danach die Matura zu machen.
Und so begann ihr beruflicher Weg in der Landesverwaltung – «und das, obwohl ich mir als Mädchen zunächst geschworen hatte, nie das KV zu machen», schmunzelt sie. Ihre Interessen waren so breit, dass sie letztlich ganz viel wollte, gleichzeitig aber nicht wusste, was genau das war. So fiel die Entscheidung für die Lehrstelle, die ihr am meisten Vielfalt bot. Doch der Wunsch, zu maturieren, schwelte weiter, sodass sie die Zweitwegmatura wenige Jahre nach Lehrabschluss in Angriff nahm.
Mit der Matura in der Tasche war anschliessend klar, dass sie studieren wollte – und wieder stand Brigitte Haas vor derselben Frage: Ein riesiges Interesse an ganz verschiedenen Fachrichtungen, und gleichzeitig die Schwierigkeit, sich auf eine festzulegen. Was sie zunächst als persönliche Schwäche empfand, wurde in der Berufsberatung widerlegt: «Man erklärte mir, dass diese Vielfältigkeit genau meine Stärke ist.» Entschieden hat sie sich schliesslich für ein Jus-Studium an der Uni Zürich.
Der Traumjob warf die Pläne über den Haufen
Nach dem Abschluss des Studiums kam es anders als geplant. «Eigentlich wollte ich zum ersten Mal in meinem Leben ganz lange Ferien machen», erzählt Brigitte Haas. Geändert haben sich diese Pläne wegen eines Traumjobs: Die stellvertretende Geschäftsführung der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer (LIHK). Das sei ein «beidseitiger Glücksfall» gewesen: «Ich konnte vieles neu aufbauen.»
Mit ihrer Erfahrung aus der Verwaltung war sie schon damals bestens vernetzt, sei es im Regierungsgebäude, mit den Amtsstellen oder der Stabsstelle EWR. Sich zu vernetzen – wie sie es schon als Mädchen im elterlichen Ladengeschäft getan hat – geniesst sie heute noch, etwa in der Zusammenarbeit mit inländischen Kontakten, aber auch mit den schweizerischen Industriekammern oder in Brüssel als Mitglied des EWR-EFTA-Konsultativkomitees.
«Es war nicht das erste Mal, dass ich angefragt wurde»
Führt ihre Regierungskandidatur im Februar 2025 zur Wahl, könnte sich ein Kreis schliessen und sie ins selbe Haus führen, in dem sie ihre berufliche Laufbahn begonnen hat: «In den ersten drei Monaten meines Arbeitslebens war ich direkt im Regierungsgebäude, und falls es mit der Wahl klappt, werde ich meine Karriere wohl auch dort abrunden.»
Dass Brigitte Haas den politischen Pfad einschlägt, kam bei der Bekanntgabe ihrer Kandidatur für viele überraschend – für sie selbst jedoch weniger. Sie verrät: «Es war nicht das erste Mal, dass ich für ein politisches Amt angefragt wurde.» In der Vergangenheit hat sie jeweils abgelehnt.
Als sie ihrem Ehemann, dem Architekten Hubert Ospelt, im Frühsommer vom Ansuchen der VU erzählte, habe dieser augenzwinkernd angemerkt: «Dieses Mal hast du offenbar nicht sofort Nein gesagt.»
Das hat sie zum Nachdenken gebracht und letztlich zum Schluss: «Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, zuzusagen – jetzt kann ich durch meine grosse Erfahrung und die vielen Beziehungen in der Wirtschaft, der Politik und der Kultur wirklich das Richtige für dieses Amt mitbringen.»