«Es wird nicht beim Papier bleiben»
Herr Regierungschef-Stellvertreter, wie oft standen Sie selbst bereits im Stau und haben sich geärgert?
Daniel Risch: Zugegeben – ich stehe selten im Stau. Ich bin meist vor dem Morgenstau im Büro und verlasse es mehrheitlich erst, wenn sich der Abendstau bereits aufgelöst hat. Aber wenn ich, wie jeder andere auch, zu Stosszeiten unterwegs bin, ärgere ich mich zugegebenermassen genauso wie jeder ande re. Denn Pünktlichkeit ist mir sehr wichtig. Wir haben vor Kurzem erlebt: Ein Unfall genügt und auf unseren Strassen geht praktisch nichts mehr. In unserem Strassennetz gibt es kaum leistungsfähige Ausweichrouten. Damit haben wir eine andere Situation als in anderen Ländern. Zunehmender Verkehr und nahezu täglich Stau – das ist also auch in Liechtenstein Realität.
Zahlreiche Studien zeigen, dass sich die Situation künftig verschärfen wird. Ein Land – ein Problem. Gibt es auch eine Lösung?
Es ist nicht wirklich das «eine» Problem. Ich würde sagen: Wir haben an verschiedenen Orten dasselbe Problem. Deshalb kann es nicht eine einfache oder einzelne Lösung präsentieren, die unser Mobilitätsbedürfnis für die Zukunft löst. Wir brauchen landauf, landab, also bei den verschiedenen Verkehrsträgern, Lösungen. Das ist auch der Grund, warum jetzt ein Gesamtkonzept überfällig ist. Dieses soll verdeutlichen, wie breit die Problematik gestreut ist und wie einzelne Bausteine dazu beitragen, am Ende eine realisierbare Lösung zu finden.
Warum jetzt?
Wenn wir auf die letzten 50 Jahre zurückblicken, stellen wir fest, dass sich im Mobilitätsbereich wenig bewegt hat. Abgesehen vom massiven Ausbau des ÖV – wobei hier auch noch mehr möglich ist – hat sich nur sehr wenig verändert. Gleichzeitig sind aber die Bevölkerungszahlen, die Wirtschaft samt Pendlerstrom und Arbeitsplatzzahlen massiv angewachsen und werden auch künftig weiterhin zunehmen. Das ist einerseits erfreulich, andererseits müssen wir hier der Nachfrage nach Mobilität auch nachkommen. Jedes weitere Jahr, das wir abwarten, ist ein verlorenes Jahr. Der Druck wird sich erhöhen. Mir ist bewusst: Die Probleme, die wir heute haben, sind jene, die vor 20 Jahren nicht gelöst wurden. Wir sollten vermeiden, dass wir in 20 Jahren nicht verschärfte Probleme haben werden, welche wir heute nicht lösen.
Verkehr beschäftigt und interessiert jeden. Erhalten Sie als Infrastrukturminister diesbezüglich oft Rückmeldungen oder Vorschläge aus der Bevölkerung?
Diese Meinungen aus der Bevölkerung sind mir sehr wichtig. Damit wir diese – breit abgestützt – strukturieren können, haben wir im letzten Herbst eine Bevölkerungsumfrage durchgeführt. Wir wollten uns ein Bild verschaffen, was die Liechtensteiner, aber auch die Pendler über die Situation in Liechtenstein denken. Das Resultat war aufschlussreich. Und klarer, als ich mir gedacht habe.
Haben die Ergebnisse Sie in einer bestimmten Frage umgestimmt bzw. bestärkt? Sind sie im Mobilitäts konzept eingeflossen?
Umgestimmt nicht. Aber sicher bestärkt in dem Sinne, dass ein Massnahmenmix notwendig und die Kombination von Bus und Bahn prioritär zu behandeln ist. Gewissermassen eine Art von Schützenhilfe. Die Aussage, dass punktuell Massnahmen bei der Strasseninfrastruktur gesetzt werden müssen, hat mich zusätzlich ermutigt, dass es bei der Suche nach Lösungen kein Denkverbot geben darf.
Wann ist denn nun mit diesem Mobilitätskonzept fix zu rechnen?
Ich habe schon öfters angetönt, dass es im Frühjahr 2020 von der Regierung behandelt wird und im Anschluss der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll. An diesem Fahrplan wird festgehalten. Also in Kürze. Ich bin zuversichtlich, dass wir innerhalb der Regierung einen tragfähigen Konsens finden werden.
Zu den im Konzept vorgesehenen Massnahmen. Diese zielen also auf alle Verkehrsträger ab bzw. es wird kein Einzelner bevorzugt?
Das Hauptaugenmerk wird auf den ÖV gelegt. Dieser soll auf eigenen Trassen bevorzugt, dessen Takt erhöht und die Linien sollen ausgebaut werden. Grundsätzlich haben wir vier Massnahmenpakete definiert: Das erste bezieht sich auf den ÖV und den Langsamverkehr, das zweite auf die effizientere Nutzung der bestehenden Infrastruktur, das dritte beinhaltet Kapazitätserweiterungen und das vierte zielt auf die Erhöhung der Verkehrssicherheit ab. Für jedes Paket werden zahlreiche Einzelmassnahmen aufgezeigt und abgeleitet. Daraus haben sich wiederum zehn Leitprojekte ergeben, die in den nächsten fünf bis zehn Jahren angegangen und realisiert werden sollen.
Konzepte hat es viele gegeben. Was wird an diesem anders sein?
Bereits bestehende Konzepte wurden überprüft und teilweise berücksichtigt. Neu werden wir konkrete Massnahmen benennen und diese dann auch umsetzen. Es wird nicht beim Papier bleiben.
Es handelt sich um Massnahmen, die viel Geld kosten und entsprechend vom Landtag abgesegnet werden müssen …
Genau deshalb ist auch geplant, dass der Landtag dieses Konzept nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern sich intensiv damit befasst. Es steht ihm natürlich frei, ob und wenn ja, welche konkreten Anträge unterstützt werden. Und wie immer kann bei konkreten Finanzbeschlüssen oder Gesetzesanpassungen auch jederzeit das Volk mit einem Referendum direkt mitreden. Die Lösungen sollen also jedenfalls breit getragen werden.
Es wird zum Teil also weitreichende Massnahmen geben. Welche?
Ich glaube, wir alle kennen die neuralgischen Punkte. Beispielsweise müssen wir die Rheinübergänge genauer betrachten. Die S-Bahn wird ohne Zweifel eine wesentliche Rolle als Puzzleteil des ganzen Konzepts spielen. Es wird darum gehen, dass eine Lösung rund um die S-Bahn gefunden wird. Aber natürlich wird es auch um die Verkehrsproblematik im Liechtensteiner Unterland gehen. Ebenfalls ein Thema wird die Digitalisierung sein. Die Fülle an Aufgaben wird mit diesem Gesamtkonzept sichtbar werden.
Die S-Bahn ist also definitiv zurück. Wie ist der aktuelle Stand der Verhandlungen?
Diese sind weit fortgeschritten und ich bin zuversichtlich, dass sie in der nächsten Zeit abgeschlossen werden können. Das bedeutet, dass wir den Finanzbeschluss noch im ersten Halbjahr dem Landtag vorlegen wollen.
Wie sollen Landtag und Bevölkerung von der Sinnhaftigkeit der Bahn überzeugt werden?
Mit dem Bewusstsein, dass es hier um Landesinteressen geht. Das Verkehrsproblem betrifft uns als ganzes Land. Wir brauchen Lösungen an verschiedenen Stellen. Wie gesagt ist die S-Bahn nur als Puzzleteil des Ganzen zu sehen und überregional zu betrachten. Ich erinnere an dieser Stelle auch gerne an die historische Bedeutung der Bahn. Bereits 1860 haben unsere Vorfahren sich sehr stark dafür eingesetzt, dass die Verbindung der Bahnsysteme Österreichs und der Schweiz über das liechtensteinische Hoheitsgebiet erfolgt. Schon damals wussten sie, wie wichtig diese Anbindung für das Land ist. Leider nutzen wir diese Infrastruktur heute kaum. Vielleicht erhalten wir nun doch noch die Gelegenheit, den Wunsch unserer Vorfahren zu erfüllen.
Hand aufs Herz: Werden die Schranken dann in Schaan öfter unten sein?
Nicht unbedingt öfter. Aber in Summe gesehen etwas länger. Indem wir dann die Trassen hauptsächlich für den Personen- statt für den Güterverkehr nutzen, können wir auch hiervon profitieren. Gleichzeitig bedeutet dieser Umstand aber auch, dass wir für Schaan Lösungen brauchen – etwa eine Tieferlegung der Strasse oder der Bahntrasse. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Weiterführung der Industriestrasse als Entlastung für den Ortskern von Schaan. Wir brauchen ein klares Bekenntnis, dass es für Schaan eine Lösung geben wird. An dieser muss mit Nachdruck gearbeitet werden.
In den vergangenen Jahren gab es viele Ideen – zum Teil sehr futuristisch und für uns kaum vorstellbar. Werden Sie mit einem ähnlich gelagerten Projekt überraschen?
Ich hoffe vielmehr, dass die Liechtensteiner von der Fülle der präsentierten konkreten Massnahmen überrascht sein werden. Futuristische Themen sind zwar spannend, jedoch sollte man dabei auch realistisch bleiben. Eine Hochbahn löst z. B. nicht das zentrale Problem der Feinverteilung. Die Strasse wird auch in Zukunft der zentrale Verkehrsträger sein. Wenn wir Lösungen für die Zukunft umsetzen wollen, benötigen wir die entsprechenden Korridore, damit die Umsetzung auf dem Landweg erfolgen kann. Dies wiederum benötigt Platz, weshalb die Sicherung der Mobilitätskorridore essenziell ist – unabhängig davon, wie diese Korridore dereinst genutzt werden.
Wo steht Liechtenstein in zehn Jahren? Sollten keine umfassenden Massnahmen ergriffen werden?
Simpel gesagt – im Stau. Und dies meine ich nicht nur verkehrstechnisch, sondern auch wirtschaftlich. Wenn wir uns nicht weiterentwickeln, wird Liechtenstein als Standort und damit als Werkplatz an Attraktivität verlieren. Schliesslich passe ich mit meinen 42 Jahren auch nicht mehr in die Kleider, die ich mit 22 Jahren getragen habe. So wie ich meine Kleidung angepasst habe, so braucht auch das heutige Liechtenstein teilweise ein verkehrstechnisch «neues Kleid».