«Es ist Zeit zu handeln»
So schön es auch ist, dass der Mensch immer älter wird, so viele Herausforderungen bringt dies gleichzeitig auch mit sich. Vor allem im Bereich der Finanzierung von Pflege- und Betreuungsleistungen sowie der Rekrutierung von Fachkräften. Die Herausforderungen sind gewaltig, wie Studien der Stiftung Zukunft.li bereits aufgezeigt haben. Die Verantwortlichen im Gesundheitsbereich sind alarmiert. Doch ist sich auch die Politik der Tragweite wirklich bewusst? Diese und weitere Themen wurden gestern an der «Zeit für Liechtenstein»-Veranstaltung im Rathaussaal in Vaduz diskutiert. Die VU lud dazu ein, dieses gesellschaftsrelevante Thema parteiübergreifend zu diskutieren – und der Einladung folgten zahlreiche Interessierte. Nach einem Impulsreferat von Thomas Lorenz, Geschäftsführer der Stiftung Zukunft.li, diskutierten auf dem Podium
Barbara Frommelt, Geschäftsführerin der Familienhilfe Liechtenstein, Heinz Schaffer, Geschäftsführer der Lebenshilfe Balzers sowie Judith Oehri, designierte Geschäftsführerin von «Zeitpolster.li».
Ein Appell an die Politik, zu handeln
In zwei Studien zeigt die Stiftung Zukunft.li auf: Gemäss dem Bevölkerungsszenario des Amts für Statistik steigt der Anteil der über 80-Jährigen an der Gesamtbevölkerung von heute 3,5 auf beinahe 12 Prozent im Jahr 2050 an. Und bereits heute fallen 43 Mio. Franken für die Pflege und Betreuung von Menschen über 65 Jahren an.
Wer soll das also finanzieren, wenn sich die Kosten bis 2050 nahezu vervierfachen? Die Stiftung Zukunft.li hat hierzu das Modell des vererbbaren Pflegekapitals vorgeschlagen. Also ein persönliches Sparkonto, das jeder so lange führen muss, bis er die Betreuung bzw. Pflege selbst nötig hat. «Das System wäre umsetzbar», ist Thomas Lorenz überzeugt. Aber natürlich müssten hier auch Lösungen für alle jene gesucht werden, die sich ein solches Sparkonto nicht leisten können. «Die Politik ist gefordert, zu handeln. Wir können nicht noch einmal 20 Jahre warten.»
Einen wichtigen Beitrag könnten zudem auch Freiwillige übernehmen – zwar nicht im professionellen Pflegebereich, aber doch im Bereich der Betreuung. Hier schlägt die Stiftung Zukunft.li ein so genanntes Zeitvorsorgemodell vor.
Damit könnten Freiwillige niederschwellige Hilfe und Entlastung anbieten und der Heimeintritt könnte verzögert werden. Gleichzeitig erhalten diese Freiwilligen wiederum Zeitgutschriften, die sie später wenn nötig selbst einlösen können.
«Zeitpolster.li» steht in den Startlöchern
Tatsächlich hat sich in Liechtenstein bereits eine Gruppe formiert, die das Zeitvorsorgemodell in Liechtenstein einführen möchte. Das Projekt ist weit fortgeschritten, sobald die Finanzierung steht, wollen die Verantwortlichen eine Pressekonferenz abhalten. «Vermutlich noch in diesem Monat», so Judith Oehri, die designierte Geschäftsführerin von «Zeitpolster.li». Obwohl die Bereitschaft zur Freiwilligenarbeit in Liechtenstein enorm hoch sei, müsse man dann aber schauen, wie gut das System im Land angenommen wird. Funktioniert es, so kann diese aus der Zivilgesellschaft herauswachsende Hilfe sicher einen wichtigen Beitrag leisten, um einigen Herausforderungen des demografischen Wandels zu begegnen. Doch andere grosse Probleme können damit nicht behoben werden.
Handlungsbedarf bei der Rekrutierung
Abgesehen von der grossen finanziellen Herausforderung besteht vor allem in einem Bereich Handlungsbedarf: Der Rekrutierung von Fachkräften. Denn steigt der Anteil der zu Pflegenden, braucht es auch mehr Pflegende. Eine Analyse der Fachkräfte zeigt, dass 43 Prozent bereits über 50 Jahre alt sind und damit in weniger als 20 Jahren aus ihrem Beruf ausscheiden werden. «Wir brauchen junge Fachkräfte. Und die Rekrutierung muss bereits in der Schule beginnen», sagte er in Richtung Bildungsministerin Dominique Hasler. Man müsse den Jugendlichen bewusst machen, dass dies der Beruf der Zukunft sei. Und gleichzeitig auch an den Rollenbildern arbeiten, fügte Judith Oehri hinzu, im Wissen, dass sich nach wie vor nur wenige Männer eine Ausbildung im Pflegebereich vorstellen können. Barbara Frommelt von der Familienhilfe Liechtenstein wies aber noch auf ein anderes Problem hin: «Wer diesen Beruf ausüben will, muss viel in die Ausbildung investieren. Die Auszubildenden verdienen über einen langen Zeitraum nur sehr wenig, der Lohn beträgt knapp 1500 Franken.» Deshalb gebe es auch kaum Quereinsteiger. «Wer bereits mitten im Leben steht, kann damit nicht leben. Deshalb müssten die Rahmenbedingungen geändert werden, hier gebe es wirklich Handlungsbedarf.
Thomas Lorenz appellierte deshalb noch einmal an die Politik, mutig zu sein und nach Lösungen zu suchen. «Die Lösung wird keine bequeme sein. Aber es wird ganz sicher nicht so weiter funktionieren wie bisher.»
Desirée Vogt, Liechtensteiner Vaterland