Emanuel Schädler: Der Gelehrte, der allem auf den Grund geht
Porträt von Gary Kaufmann erschien im Vaterland vom 23. September
Wenn Eltern mit ihren Kindern in die Musikschule gehen, wird meistens der Sohn oder die Tochter für Unterrichtslektionen angemeldet. In diesem Fall kehrte jedoch auch der Vater als neuer Schüler nach Hause, weil er am Kontrabass gezupft hatte und sofort von dem Instrument fasziniert war. Dabei hat Emanuel Schädler infolge seiner Kandidatur für die Regierung zurzeit eigentlich einen vollen Terminkalender und gerade erst einen neuen Job angetreten. Doch sobald der vielseitig interessierte Akademiker etwas Neues lernen möchte, lässt er sich von nichts abhalten.
«Während meiner Studienzeit habe ich in gewissen Semestern mehr Philologie- als Rechtsvorlesungen besucht», lacht der Jurist. Er ist der Meinung: «Der Ansatz, dass durch neue Aktivitäten die Work-Life-Balance aus den Fugen gerät, ist falsch.» Ihm helfe sein neues Hobby dabei, produktiver zu werden. Zehn Minuten Entspannung am Kontrabass und anschliessend plant der Geschäftsführer wieder mit voller Konzentration die nächsten Kurse für die Erwachsenenbildung Stein Egerta. Auch Spaziergänge mit dem Familienhund und Kampfsport im Budokan-Dojo in Nendeln helfen ihm dabei, den Kopf für die nächsten Herausforderungen freizubekommen.
Pfarrer Engelbert Bucher als Vorbild ausgewählt
Der Arbeitsplatz von Emanuel Schädler ist ideal, um Denkarbeit zu leisten. Das Seminarzentrum Stein Egerta befindet sich etwas abgelegen in der Höhe, am Waldrand von Schaan, womit es kaum Störfaktoren gibt. Das erste, was in seinem Büro auffällt, ist die Remington-Schreibmaschine aus den 1940er-Jahren. Diese gehörte früher dem Regierungschef Josef Hoop, mit dem der aktuelle Regierungskandidat genauso wie mit VU-Gründervater Wilhelm Beck entfernt verwandt ist.
Unweit des alten Geräts befindet sich ein moderner Computer, der während des Gesprächs ab und zu ein Geräusch abgibt, weil eine E-Mail im Postfach landet. Wer in Schädlers Büro zu Besuch ist, erhält für seinen Kaffee einen Untersetzer, der ein Miniaturbild des berühmten Couch-Teppichs von Sigmund Freud ist. Der bevorzugte Kleidungsstil des Gastgebers, ein Tweed-Sakko mit Weste, erinnert ebenfalls an den österreichischen Psychiater. Der erste Eindruck führt zur Annahme, dass der Blick des 40-Jährigen sowohl nach vorne als auch zurück, aber auch nach aussen sowie innen gerichtet ist.
Schon in der Schulzeit hielt Schädler gerne Vorträge vor Publikum und hat damals, vor Power Point, hierfür extra Polaroidfotos entwickelt und auf einen Karton geklebt. «Allerdings nur über Themen, bei denen ich mich wirklich auskenne.» Der Akademiker stach innerhalb einer Handwerkerfamilie hervor und musste sich bei Zusammenkünften einige Sprüche wie «Er geht immer noch zur Schule» anhören.
Den Weg in die Forschung hat ihm jemand anderes geebnet. In seiner Kindheit durfte der Triesenberger, der mittlerweile in Vaduz wohnt, ab und zu in das «Kabäuschen» des Nachbars Pfarrer Engelbert Bucher eintreten, das mit Büchern und Zigarrenqualm gefüllt war. Als der Gymnasiast für ein Schulprojekt ein Vorbild interviewen musste, fiel die Wahl auf den Geistlichen, der die Triesenberger Ahnenforschung initiierte. «Pfarrer Bucher hat immer den Blick dafür gehabt, was für die Nachwelt aufbewahrt werden sollte», sagt Schädler. Als Stiftungsratspräsident der Heimat- und Familiengeschichte Triesenberg setzt er sich dafür ein, dass Buchers Bestreben fortgesetzt wird. Mit seiner Arbeit am Nachlass von Wilhelm Beck mit Rupert Quaderer ist Schädler ebenfalls quellensichernd tätig gewesen.
Nach der Matura entschied sich Emanuel Schädler dafür, Rechtswissenschaften in Bern zu studieren. Da Latein im Gymnasium sein Lieblingsfach war, vertiefte er sich im römischen Recht und in der Rechtsgeschichte. Später war er Oberassistent am Institut für Rechtsgeschichte der Universität Bern, Leiter des Verlages der Liechtensteinischen Akademischen Gesellschaft, Forschungsbeauftragter am Liechtenstein-Institut und nun seit Kurzem Geschäftsführer der Erwachsenenbildung Stein Egerta. Die Konstante in seinem Werdegang: Die Faszination fürs Lesen, Denken, Schreiben, Reden und Analysieren, um so zur Lösung eines Problems zu gelangen.
Von seinem Rechtsprofessor Markus Müller hat Schädler gelernt: «Wer nur Jurist ist, ist ein schlechter Jurist.» Deshalb war es ihm nach seiner Promotion wichtig, sich ständig weiterzubilden.
Dennoch interessierte er sich weniger fürs Strafrecht, sondern stellte sich grundlegendere Fragen. Zum Beispiel jene, wie Prozesse überhaupt sinnvoll verhindert werden können. Dies war mit ein Grund, weshalb er die Ausbildung zum Mediator (Vermittler) absolvierte. Diese Erfahrungen in der Konfliktbewältigung, sein juristisches Wissen und seine vielseitigen Interessen möchte der Triesenberger nun in die Regierung einbringen.
Erster Arbeitstag bereitete ihm «Bauchschmerzen»
Der Regierungskandidat sticht im VU-Team nicht nur durch seine Körpergrösse hervor, sondern er war bis zur Nominierung politisch gesehen auch ein unbeschriebenes Blatt. Der Kontakt zur Vaterländischen Union (VU) ergab sich dadurch, dass der Rechtshistoriker als Forschungsbeauftragter am Liechtenstein-Institut federführend das Verfassungs- und Gesetzesprojekt zu den Religionsgemeinschaften erarbeitete. Schädler sagt: «Ich hätte nicht damit gerechnet, dass mich der Weg irgendwann in die Politik führt.»
Allerdings haben verschiedene Faktoren, wie damals der Kontakt zu Pfarrer Bucher und andere Ereignisse, dazu geführt, dass er letztlich als Regierungskandidat in Betracht gezogen wird. Sein Vorfahre Josef Hoop, der Orientalistik studierte und sich für seine Dissertation mit sumerischen Fremdwörtern im Akkadischen beschäftigte, kann als Beispiel dienen, dass auch «Exoten» aus der Wissenschaft im Regierungsgebäude erfolgreich sein können. Immerhin kennt sich Emanuel Schädler mit der Verfassung und dem Landesverwaltungspflegegesetz aus. Ausserdem hat er Erfahrung darin, sich mit komplexen Themen auseinanderzusetzen und den Sachen unbefangen auf den Grund zu gehen, bevor er eine Entscheidung trifft.
Als der Triesenberger die Anfrage erhielt, ob er sich ein politisches Amt vorstellen könne, brauchte er nicht lange zu überlegen. Der Akademiker sagte sofort zu – unter dem Vorbehalt, dass er es noch mit seiner Familie besprechen müsse: «Das ist natürlich eine grosse Ehre, angefragt zu werden.» Bei den ersten parteiseitigen Sondierungsgesprächen war noch nicht klar, ob und wofür ihn die VU einsetzen wollte. In dieser Schwebe unterschrieb er den neuen Arbeitsvertrag mit der Stein Egerta und erst danach stellte sich heraus, dass ihn die Partei für einen Sitz in der Regierung vorsah.
Und so kam es zu einer Situation, die Emanuel Schädler Bauchschmerzen bereitete: An seinem ersten Arbeitstag als Geschäftsführer der Stein Egerta musste er seinen neuen Arbeitskollegen während des Einstand-Znünis direkt beichten, dass er für einen anderen Posten kandidiert. Denn noch am selben Tag stellte ihn die VU an einer Medienkonferenz als Teil ihres Regierungsteams für die Wahlen 2025 vor. «Als die Mitarbeitenden alle gelächelt und spontan applaudiert haben, war ich sehr erleichtert», blickt Schädler zurück. Im Gegenzug für diese unangenehme Situation hatte er bis zur Nominierung die «beste Tarnung», weil bei ihm «wohl wirklich niemand damit gerechnet hätte».
Für Emanuel Schädler ist der Start in seine neue Arbeitsstelle speziell. Einerseits muss er sich einarbeiten und dafür sorgen, dass in der Stein Egerta alles reibungslos weiterläuft. Andererseits muss er auch alles so angehen, dass er seine Position und die angefangenen Projekte im Fall einer erfolgreichen Wahl nahtlos übergeben kann. Dabei hatte der Wissenschaftler – zumindest in seinem Unbewussten – damit gerechnet, dass er eines Tages eine Führungsrolle für das Land übernehmen könnte. So erinnert sich seine Frau Monika noch ganz genau daran, wie sie vor vielen Jahren in Bern, in der Nähe des Bundeshauses, unter den Arkaden spazierten und er in einem Nebensatz beiläufig erwähnte, dass er irgendwann wohl in die Politik gehe.
Insofern war seine bessere Hälfte nicht überrascht, als er ihr Einverständnis für die Kandidatur als Regierungsrat einholte. Wie bei all seinen Engagements geht es Emanuel Schädler darum, sich voll und ganz einzusetzen, neue Erfahrungen zu sammeln und sein Wissen weiterzugeben. Selbst wenn dadurch die Zeit, um Romane zu lesen oder an alten Schriftquellen zu forschen, deutlich geringer wird.
Name: Emanuel Schädler
Wohnort: Vaduz
Alter: 40
Familie: Ehefrau Monika und siebenjährige Tochter
Beruf: Geschäftsführer Stein Egerta
Hobbys: Musik, Natur und Bücher
Essen: Gulasch
Getränk: Kaffee
Ort: Schloss Werdenberg
TV-Serie: «Die Sopranos»
Stärken: zuverlässig, engagiert und umgänglich
Schwächen: perfektionistisch und nachgiebig
Lebensmotto: «Erkenne dich selbst» von Chilon von Sparta