«Die Monarchie ist in Liechtenstein weitestgehend unbestritten!»
Zeitgeschehen im Fokus (Thomas Kaiser): Wie war der Festakt am Nationalfeiertag zum 300jährigen Bestehen Liechtensteins?
Landtagsabgeordneter Christoph Wenaweser: Die Reden des Erbprinzen und des Landtagspräsidenten am alljährlichen Staatsakt waren dem Jubiläum entsprechend grundsätzlicher gehalten und standen daher weniger als sonst im Zeichen aktueller politischer Themen.
Welche Bedeutung hat das Jubiläum für das Fürstentum?
Das dreihundertjährige Bestehen ist ein denkwürdiger Moment. Das Fürstentum Liechtenstein ist das einzige Land unseres Kontinents, das 300 Jahre in unveränderten Grenzen existiert. Und wenn man globale Entwicklungen betrachtet, darf man in einem solchen Moment auch einmal dankbar dafür innehalten, dass es Länder gibt, in denen die Bevölkerung in Friede und Freiheit leben kann.
Wie kann man sich diese Kontinuität und Stabilität erklären?
Zu früheren Zeiten dürfte unser Land einfach zu klein und zu arm gewesen sein, um von irgendwoher bedrängt oder beeinflusst zu werden. Seit der Verfassung von 1921 trägt die Staatsform als konstitutionelle Erbmonarchie auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage entscheidend dazu bei. Mit Volk und Fürst verfügen wir über zwei sich gegenseitig bedingende Souveräne, verbunden mit ausgeprägten direktdemokratischen Elementen.
Wie muss man sich das gegenseitige Bedingen vorstellen?
Damit Gesetze, Staatsverträge, bi- und multilaterale Abkommen in Kraft treten können, bedarf es der Zustimmung durch das Parlament und durch den Fürsten. Das macht jeweils eine von Anfang an besonders sorgfältige Befassung mit solchen Geschäften erforderlich, damit am Ende konsensuale Lösungen entstehen können und sich die Souveräne nicht in extremis begegnen.
Welchen Einfluss hat das Volk mit seinen direktdemokratischen Rechten im Zusammenwirken der Souveräne?
Fürstenhaus, Legislative und Exekutive dürfen in ihrer Arbeit das Volk nicht ausser Acht lassen, dass das politische System ein sehr niederschwelliges Initiativrecht als Gestaltungskompetenz und ein ebenso niederschwelliges Referendumsrecht als Vetokompetenz vorsieht. Bürgerinnen und Bürgern stehen ein grosser Strauss an direktdemokratischen Möglichkeiten zur Verfügung, um in der Politik Entwicklungen zu verhindern oder gestaltend einzugreifen. Das Volk kann zudem das Parlament auflösen und könnte an der Urne sogar die Monarchie beenden. Der einzelne kann viel mehr Einfluss auf die Politik ausüben, als – einmal abgesehen von der Schweiz – in anderen Ländern Europas…
…die sich sehr wohl Demokratien nennen…
…in denen die Bevölkerung alle vier Jahre ihre Vertreter wählen kann, die dann, einmal gewählt, den Bürgerinnen und Bürgern nicht einmal mehr den sachverständigen Umgang mit direktdemokratischen Instrumenten zutrauen, wie leider auch schon Debatten im Europarat, dem Hort von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, gezeigt haben, bei denen sich Schweizer und Liechtensteiner Parlamentarier wie in einem falschen Film vorgekommen sind.
In den Medien wird immer wieder der vermeintliche Gegensatz zwischen Monarchie und direkter Demokratie thematisiert, wenn nicht gar problematisiert bzw. als antiquiert dargestellt. Auf der einen Seite ein gewähltes Parlament auf der anderen Seite ein Monarch an der Spitze. Was halten Sie von dieser Darstellung?
Generell können nicht nur wir ohne weiteres darauf verzichten, dass Staatsformen und politische Systeme von aussen wohlmeinend für gut oder schlecht befunden werden, ganz besonders dann, wenn diese rechtsstaatlichen Normen entsprechen, demokratisch legitimiert sind und ihnen ihre Geschichte sogar Recht gibt.
Nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker ist es eine Angelegenheit der Liechtensteiner, zu bestimmen, in was für einem System sie leben wollen. Herr Wenaweser, Sie sind Volksvertreter und mit den Menschen in Ihrem Land in Kontakt. Hat die Bevölkerung ein Problem mit der Monarchie?
Nein, im Gegenteil. Unsere Staatsform und mit ihr die Monarchie ist in Liechtenstein weitestgehend unbestritten! Eine grosse Mehrheit im Volk sieht die Monarchie als ein stabilisierendes Element mit einem längerfristigen Horizont. Das Fürstenhaus kann grundsätzlich eher in Generationen denken, wohingegen der Politiker zwangsläufig dazu neigen kann, in Legislaturen zu denken. Es gelingt in aller Regel gut, diese unterschiedlichen Perspektiven aufeinander abzustimmen.
Was bedeutet das für Sie als Parlamentarier?
Als Parlamentarier geht man ganz anders an die Themen heran, wenn man weiss, dass Fürst und Volk politische Prozesse aufgrund ihrer Kompetenzen relativ einfach zu Fall bringen können. Auch ist man als Milizparlamentarier in unseren kleinräumigen Gegebenheiten dicht am Volk und politisiert nicht unter einer Käseglocke, wie es bei Berufsparlamentariern in anderen Ländern vielfach der Fall ist.
Besteht eine Verbindung zwischen Volk und Monarchie, in dem Sinn, dass der mit den fürstlichen Vollmachten ausgestattete Erbprinz den Puls der Bevölkerung spürt?
Den Puls der Bevölkerung spürt er sehr gut. Er entzieht sich dem auch nicht. Zwischen den Souveränen besteht ein laufender, offener, vertrauensvoller Dialog, der aber auch unabdingbar ist, um unser politisches System funktionieren zu lassen.
Gibt es in politischen Fragen keine grösseren Abweichungen?
Diskussionen zu zwei Verfassungsabstimmungen in den Jahren 2003 und 2012 haben schon Überlegungen zutage gebracht, das Gefüge zwischen den Souveränen punktuell anders auszutarieren, ohne jedoch an der Staatsform im Grundsatz zu rütteln. Diese Überlegungen fanden, wie die Abstimmungsergebnisse beide Male zeigten, deutlich keine Mehrheit.
Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten mit der Schweiz?
In der Schweiz liegt zwar alle Macht beim Volk, aber auch das parlamentarische System sieht auf Bundesebene mit den zwei Kammern National- und Ständerat ein gegenseitiges Korrektiv vor, wie es bei uns in der verfassungsgewollten Verankerung der Staatsgewalt im Fürsten und im Volke gegeben ist. Gemeinsam sind uns auch die schon mehrfach erwähnten, ausgeprägten direktdemokratischen Möglichkeiten zur politischen Einflussnahme durch das Volk, gepaart mit einem die Nähe des Volkes suchenden Milizparlamentarismus.
Herr Landtagsabgeordneter Wenaweser, vielen Dank für das Gespräch.