«Änderung ohne Not ist nicht zielführend»
Nicht alles, was nach mehr Demokratie klingt, ist es auch. Die Direktwahl der Regierung: Was zunächst als eine Stärkung des Volkswillens daherkommt, bedeutet am Ende eine Schwächung des lange etablierten, politischen Systems und dessen demokratischer Elemente. Das fördert die vorliegende Postulatsbeantwortung eindrücklich zutage. Durchgehend alle Fraktionen, mit Ausnahme der DpL, haben anlässlich der Debatte zu diesem Postulat darauf hingewiesen, dass die Direktwahl der Regierung sowohl die Stellung des Staatsoberhauptes als auch des Landtags schwächen würde.
Bei tieferer Befassung mit der Materie ergibt sich eindeutig, dass eine solche Änderung nicht ohne fundamentale Verfassungsänderung möglich ist. Die vergangenen Landtagswahlen haben gezeigt, dass die Mehrheit der Bevölkerung sich einen stabilen Staat und stabile Regierungsmehrheiten im Landtag wünscht.
Grundsätzlich ist es demokratiepolitisch berechtigt, wenn man solche Systemfragen aufbringt. Wir haben ein sehr spezielles Staatswesen, wo die Macht sowohl im Volk als auch im Fürstenhaus verankert ist. Wird einer dieser Parameter geändert, ergeben sich wesentliche Auswirkungen auf das Staatswesen und dessen Funktionsweisen. Heute sind die Funktionsweisen in diesen staatlichen Abläufen in klaren Bahnen und auch für die Bürger transparent. Bei einem Systemwechsel mit einer Direktwahl der Regierung ergeben sich Folgen, die nicht ohne weiteres vorhersehbar sind. Dies kann in der vorliegenden Postulatsbeantwortung gut nachgelesen werden. Generell sollte man sich nicht ohne Not von einem etablierten Staatssystem, mit grundsätzlich guter Funktionsweise, verabschieden bzw. dieses verändern, insbesondere dann nicht, wenn dessen Folgewirkungen nicht klar absehbar sind.
Auch aus den Reihen der VU gab es damals einige Stimmen für die Überweisung des Postulats – und zwar mit dem Hinweis, dass man das Thema dann auch ad acta legen könne, wenn einmal in der Breite aufgezeigt wird, was die Folgen sind und was ein allfälliger Nutzen wäre. Und genau dieses Ergebnis liegt nun vor.
Sowohl die Überweisung des Postulats und dessen Beantwortung ist wertvoll. Es beweist sich aber auch, dass mit einer Systemänderung kein qualitativer Mehrwert für den Staat gewonnen wird.
Die Vaterländische Union beschäftigte sich schon vor einigen Jahren mit diesem Thema. Die in der Postulatsbeantwortung festgehaltenen Schlussfolgerungen wurden damals schon mehr oder weniger gezogen. Ein Punkt, der auch in der Debatte zum Postulat aufgetaucht ist – vor allem der Abgeordnete Wenaweser führte dazu näher aus – war die sogenannte Komplimentswahl, die man in dieser Debatte näher betrachten könnte. Wie die Regierung bzw. das Liechtenstein-Institut in ihrer Studie feststellt, würde das weitere komplexe Fragen zutage fördern. Das würde heissen, dass man für eine Wahl in die Regierung zunächst ein Landtagsmandat erreichen müsste. Das gäbe der jeweiligen Person jedenfalls eine direktdemokratische Legitimation.
Aktuell weisen jene Parteien, welche Regierungskandidaten nominieren, transparent aus, wer in die Regierung einzieht, sollte es zu einer Regierungsbeteiligung kommen. Die Bevölkerung weiss also in der Regel sehr gut, worauf sie sich einlässt. Dass nach einer erfolgreichen Wahl gänzlich andere Kandidaten in die Regierung einziehen als die Parteigremien nominieren, ist nicht zu erwarten. Umstellungen im Regierungsteam und Quereinsteiger gab es bisher nur, wenn eine Partei an den Wahlen eine Niederlage erlitten hat und deshalb zur Erkenntnis kommt, womöglich mit Kandidaten angetreten zu sein, die von der Bevölkerung nicht akzeptiert wurden. Zudem bedürfen solche Prozesse immer breit abgestützte Entscheidungen von Parteigremien wie Parteivorstand und Parteitag.
Insofern ist das aktuelle System allenfalls transparenter für die Wahlbevölkerung als eine Komplimentswahl. Hier könnte es nämlich dazu kommen, dass jene Kandidaten, welche die Partei für ein Regierungsmandat nominiert, danach den Einzug in den Landtag nicht schaffen. Angenommen, drei Kandidaten kandidieren für ein Regierungsamt und alle drei werden nicht in den Landtag gewählt: Dann kommt es bei einer allfälligen Regierungsbeteiligung der betreffenden Partei gegebenenfalls zu einer Regierungsbeteiligung nach dem Zufallsprinzip. Ob das dann im Interesse der Wählerinnen und Wähler liegt, sei dahingestellt.
Nicht vergessen darf man auch, dass man sich bei einer Kandidatur für den Landtag auf ein Mandat in einem Milizparlament einstellt – wenn jemand bereit ist, für die Regierung zu kandidieren, ist ihm hingegen bewusst, dass er seinen aktuellen Beruf zum Zeitpunkt des Amtsantritts aufgeben muss.
Auch wenn hier in der Praxis einige Fragezeichen auftauchen, könnte man die Frage einer Komplimentswahl allenfalls einer vertieften Prüfung zuführen. Dafür bräuchte es gemäss dem Bericht und Antrag «nur» einen entsprechend verbindlichen Schulterschluss der Parteien, sich im Grundsatz darauf zu einigen, Ihre Regierungskandidaten auf die Wahlliste für die Landtagswahlen zu setzen und man bräuchte demnach nicht einmal eine Gesetzesänderung.
Die Berechenbarkeit und die Stabilität unseres politischen Systems sind essenziel für das verlässliche Funktionieren des Staatswesens und die gedeihliche Weiterentwicklung der Volkswirtschaft als dessen Motor. Unser Land darf sich nicht ohne Not, ohne Mehrwertversprechen und schon gar nicht ohne jeden konkreten Anlass zusätzliche Stabilitätsrisiken aufbürden. Dennoch könnte eine solche Prüfung einer Komplimentswahl etwas mehr Inhalt zu diesem Thema bringen.
Die Fraktion der Vaterländischen Union ist der Ansicht, dass einer Diskussion über eine Direktwahl der Regierung durch die Wählerinnen und Wähler keine Priorität zukommt und mit dieser Postulatsbeantwortung auch bis auf Weiteres erübrigt. Die Postulatsbeantwortung inklusive Studie des Liechtenstein-Instituts zeigt eindeutig und klar auf, dass mit unserem politischen System grundsätzlich alles in Ordnung ist. In der geltenden Gesetzeslage bei der Wahl und Bestellung der Regierung bestehen weder demokratische noch juristische Unzulänglichkeiten. Nicht zuletzt, weil die Gründerväter der Verfassung dieses System sehr gut überlegt und ausgeklügelt haben. Dies liegt auch in der Tatsache begründet, dass Liechtenstein einen sehr erfolgreichen und prosperierenden Staat mit einem hohen Mass an ausgebauten direktdemokratischen Volksrechten darstellt. Ein solch gut funktionierendes politisches System ohne effektive Notwendigkeit zu ändern, erachtet die VU-Fraktion als nicht zielführend, ja sogar als gefährliches Experiment. Dass die Regierung in diesem speziellen Fall, der beide Souveräne besonders betrifft, auch die Meinung des Erbprinzen eingeholt hat, ist sehr zu begrüssen. Wenig überraschend kommt der Erbprinz zum gleichen Schluss wie die Regierung – und die VU Fraktion.